Die Bankerin
erlebt, doch David hatte kühl und gefaßt erwidert, er würde einen Krankenwagen rufen, imKrankenhaus wäre sein Schwiegervater besser aufgehoben. Doch bereits zu diesem Zeitpunkt arbeiteten seine Nieren mit stark gedrosselter Kraft, und nur wenige Wochen später hatten sie die Arbeit eingestellt.
»Es ist schon gut«, sagte David und klopfte ihr ganz leicht auf den Rücken.
»Es ist so ungerecht! Warum er, warum ausgerechnet er?!« schrie sie und krallte ihre Finger in sein Hemd.
»Es ist besser für ihn. Du weißt selbst, wie sehr er gelitten hat. Er hatte keine Freude mehr am Leben.«
Sie löste sich aus seiner Umarmung, wischte sich die Tränen aus den Augen und mit dem Handrücken über die Nase, sah ihn für einen Moment verständnislos an und packte weiter ein.
»Was ist mit den Kindern, wenn wir weg sind?« fragte David und setzte sich auf die Bettkante.
»Es wird dir nicht gefallen«, sagte Johanna, ohne David anzusehen, »aber ich habe deine Mutter angerufen. Sie wird kommen. Ich weiß, das ist das letzte, was du möchtest, aber ich hatte keine andere Wahl. Helga ist übers Wochenende verreist, Gisela feiert die silberne Hochzeit ihres Bruders. Wir können die Kinder aber unmöglich mitnehmen, wir haben nicht so viel Platz. Und allein lasse ich sie in diesem Haus zu diesem Zeitpunkt nicht.«
»Mutter! Verdammt noch mal, ist das wirklich die einzige Möglichkeit? Gibt es denn niemand anderen als Helga oder Gisela, den wir fragen könnten? Was ist mit Alexander? Er ist alt genug.«
»Alexander ist unzuverlässig, das weißt du. Und fällt dir vielleicht sonst jemand ein, der gleich für ein paar Tage in diesem … beschissenen … Haus babysitten möchte?« fragte Johanna zornig.
»Ausgerechnet meine Mutter!«
»David«, sagte Johanna, drehte sich um und stemmte die Hände in die Hüften, »du tust, als ob deine Mutter diePest hätte! Was hast du nur gegen sie? Sie ist deine Mutter, und sie ist bereit, den langen Weg von Helmbrechts hierher zu machen. Statt zu meckern, solltest du lieber dankbar sein!«
»Ich werde duschen«, entzog sich David einem weiteren Gespräch. »Es war ein harter Tag.«
Er hatte eine weitere miserable Nacht. Einer halben Stunde Schlaf folgten zehn Minuten Wachliegen, Alpträume, Schweißausbrüche, Umherwälzen. Ein immer wiederkehrender Rhythmus die ganze Nacht hindurch. Johanna stöhnte ein paarmal wie unter schrecklichen Qualen auf, doch David drehte sich nicht zu ihr, legte nicht seine Hand auf ihre Stirn, tröstete sie nicht. Mutter! Es gab keinen Menschen, für den er soviel Verachtung empfand. Er haßte sie für alles, was sie ihm angetan hatte, für alles, was sie ihm vorenthalten hatte, für alles, womit sie ihn gedemütigt hatte. Sie, die, so lange er sie kannte, immerzu den Rosenkranz runterleierte, die Wohnung mit dem gekreuzigten Christus vollhängte, immer eine Kerze brennen ließ und nie lachte. Er war so unendlich zornig, sie sehen zu müssen, hier, in diesem Haus, das sie noch nie betreten hatte, und er ahnte oder kannte schon im voraus ihre Reaktion, diese abfällig heruntergezogenen Mundwinkel, die stechend fragenden Augen, warum er es nicht wieder geschafft hatte, seiner Familie ein anständiges Heim zu bieten. So, wie er auch wußte, daß sie Vater die Schuld gab, ihr nie das geboten zu haben, was sie sich in ihren Träumen ausgemalt hatte. Sie hatte nie verwunden, daß dieser starke Mann bis zur Schulter in den Ärschen von Rindern und Schweinen gewühlt hatte und gleichzeitig sie begrapschen wollte. David hatte sie längst durchschaut, haßte sie, und wenn es je einen Menschen gab, den er hätte umbringen können, dann sie.
Er nahm sich für den Rest der Woche frei. Er half Johanna, die Wohnung herzurichten, die Kinder zu instruieren, artigzu sein, Großmutter, die sie kaum kannten, nicht zu ärgern, ihr im Haushalt zu helfen, schließlich sei sie schon eine alte Frau.
Um halb vier am Nachmittag stand Mutter vor der Tür. Eine kleine, schmächtige, unscheinbare Person, die er seit mehr als vier Jahren nicht gesehen hatte, und obwohl schon auf die siebzig zugehend mit beinahe faltenlosem Gesicht, in dem das Hervorstechendste der schmallippige Mund und die stechenden, jetzt eisgrauen Augen waren.
Der Taxifahrer stand neben ihr und hielt die Hand auf. »Wenn du ihn bitte entlohnen würdest«, sagte sie herrisch. David griff in seine Hosentasche, holte das Portemonnaie hervor und bezahlte den Taxifahrer, der sich mit einem Gruß
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