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Die Bankerin

Die Bankerin

Titel: Die Bankerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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verabschiedete.
    Mutter hatte nur einen kleinen Koffer bei sich. Sie lächelte nicht, streckte David nicht einmal die Hand entgegen. Sie duftete nicht nach Parfüm, nicht nach Haarspray, nicht nach Schweiß, sie roch oder duftete überhaupt nicht. Nur eine winzige Spur nach Mottenkugeln. Sie trug das graue Haar gerade so, wie alte Frauen das zu tun pflegen, unauffällig und mit vielen kleinen Haarklammern zusammengehalten. Ein dunkelbraunes Kostüm bedeckte ihre magere Gestalt, eine vom Leben enttäuschte, verbitterte, hoffnungslose Gestalt, die bald zu Staub zerfallen und an die sich niemand erinnern würde. Außer David.
    Auch David reichte ihr nicht die Hand, er tat auch nicht, was andere Söhne getan hätten, er umarmte sie nicht. Sie zu berühren hätte ihn angewidert. Wahrscheinlich hätte sie es nicht einmal akzeptiert, ein Händedruck wäre das äußerste an Körperkontakt gewesen.
    »Tag, Mutter«, sagte er und versuchte ein freundliches Gesicht aufzusetzen. »Es ist nett, daß du gekommen bist. Johanna hat dir ja schon alles am Telefon berichtet. Wirst du klarkommen?«
    »Warum nicht?« fragte sie und stellte ihren Koffer ab. »Ich habe schon mehr Kinder großgezogen.«
    »Du sollst keine Kinder großziehen, du sollst nur für ein paar Tage für sie dasein. Das ist alles. Mehr verlange ich nicht.«
    »Johanna hat nicht verlangt, daß ich komme, sie hat mich gebeten.« Sie trat näher, und David schloß die Tür. »Ich habe gehört, du arbeitest noch nebenbei?« Sie hängte ihre Jacke an die Garderobe und fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Wenn ich dieses verrottete Haus sehe … Wie kommt man in eine solche Gegend?« fragte sie hart und anklagend, wie es ihre Art war.
    »In eine solche Gegend kommt man, wenn man nicht genügend Geld hat! Und wir haben leider nun mal nicht genug davon«, erwiderte er zynisch.
    »Du hättest nicht so früh heiraten sollen. Dann wären dir solche Probleme erspart geblieben. Ist es eigentlich im ganzen Haus so widerlich schmutzig? Ist das Urin auf der Treppe?«
    »Es ist Pisse! Und ich weiß nicht, wie’s weiter oben aussieht, ich geh nie nach oben. Aber wahrscheinlich ist es überall das gleiche. Wenn du nicht aufpaßt, trittst du hier in die Scheiße!«
    »Wo ist deine Frau?« fragte sie, ohne auf seine zynischen Bemerkungen einzugehen.
    »Einkaufen. Sie müßte eigentlich gleich zurückkommen. Und Sarah?«
    »Sie wird ein paar Nächte bei meiner Bekannten schlafen. Ich hätte sie mitbringen können, aber eine fremde Umgebung macht ihr angst. Kann ich mir irgendwo die Hände waschen?«
    »Ja, hier ist das Bad.«
    Sie schloß die Tür hinter sich ab, David ging in die Küche, ließ Wasser in den Teekessel laufen und stellte ihn auf den Herd. Es war die Situation eingetreten, die er am meisten gefürchtet hatte, fast allein mit Mutter sein zu müssen. Eratmete erleichtert auf, als er hörte, wie der Schlüssel von außen ins Schloß gesteckt wurde und Johanna zusammen mit Nathalie und Maximilian hereinkam. Johanna und Mutter tauschten ein paar unverbindliche Nettigkeiten aus, während die Kinder ihre Großmutter aus kritischer Distanz begutachteten. Nathalie drückte sich an David und flüsterte ihm ins Ohr: »Sie hat uns nicht mal was mitgebracht!«
    Glücklicherweise war Mutter schon frühzeitig müde. Sie ließ sich um halb acht die Couch im Wohnzimmer ausziehen, betete einen Rosenkranz, bekreuzigte sich dreimal, murmelte noch ein paar undeutliche Phrasen und schlief eine halbe Stunde später auf dem Rücken, die Hände wie in einem Sarg über der Brust gefaltet. Sie hatte die Haare streng nach hinten gekämmt und ein Haarnetz darumgelegt. Sie schnarchte leise.
    David ging, nachdem auch Johanna nach einem anstrengenden Tag voller Vorbereitungen eingeschlafen war, für einige Minuten aus dem Haus, an die Trinkhalle auf der anderen Straßenseite, die immer bis weit nach Mitternacht offen hatte, wo er sich zwei Flachmänner Chantré besorgte. Einen kippte er sofort in sich hinein, der andere war für die Nacht bestimmt.
     
    David und Johanna machten sich am nächsten Morgen gegen acht auf den Weg. Auf der Treppe eine riesige, gelblich-grüne Pfütze, die Haustürscheibe war wieder einmal eingetreten, irgendwer hatte gegen die Hauswand gekotzt. David wandte schnell seinen Blick ab und beschleunigte die Schritte, er mußte würgen. Sie trugen beide eine Reisetasche und David zusätzlich eine Tasche mit Proviant. Sie rechneten mit sechs bis acht Stunden Fahrt, wobei

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