Die Bankerin
es hauptsächlich vom Verkehr zwischen Hannover und dem Elbtunnel abhing, wie schnell sie die Ostsee erreichten. Schon jetzt am Morgen betrug die Temperatur 25 °C, kaum ein Luftzug, keine Wolke, nichts, nur der ständig die Häuser umkreisende Gestankdieser Gegend. Riesige Graffitis an den Wänden,
BRONX Boys, GHETTO Boys, Kill ’em all! Motherfuckin’ Gallus!
und noch mehr.
Auf dem Parkplatz nur wenige Autos, dafür viele winzige Glassplitter, Überbleibsel eingeschlagener Scheiben und aufgebrochener Türen. Ein betrunkener Mann und eine zum Gehen kaum fähige, noch recht junge und sturzbetrunkene Frau bewegten sich langsam schwankend vorwärts, wobei der Mann die Frau stützen mußte, die nichts trug als einen schwarzen Minirock, unter dem fette, aufgequollene Beine hervorragten, sie war barfuß, ihr Haar schwarz und klebrig, wie mit Schmierfett eingerieben klebte es an ihrem Kopf, das Gesicht rot und aufgedunsen. Der Mann hingegen war groß und ausgemergelt, das Gesicht tief eingefallen, die Augen große Höhlen; heruntergekommene, verwahrloste Gestalten, deren Lebenssinn aus nichts weiter als Saufen bestand. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihre Körper vor diesem Leben kapitulierten. David sah täglich solche Wesen aus einer Schattenwelt, er nahm sie nur noch am Rande wahr.
Die Kinder standen am Fenster und winkten, Großmutter war nicht zu sehen. David schloß den Kofferraum auf, hievte die Taschen hinein und schlug die Klappe wieder zu. Er ging ums Auto herum und öffnete zuerst auf Johannas Seite, dann bei sich. Er setzte sich hinein, steckte das Radio in die gähnende Öffnung, legte den Sicherheitsgurt an und startete den Motor. Legte den Rückwärtsgang ein, um aus der Parklücke zu fahren, doch der Wagen bewegte sich kaum, nur sehr schwerfällig, als klebten die Räder am Boden. David runzelte die Stirn und stieg wieder aus. Er erstarrte und ballte die Fäuste in ohnmächtiger Wut. Alle vier Reifen waren platt, sie waren förmlich massakriert, ganze Fetzen herausgeschnitten worden. Er bat Johanna auszusteigen und deutete wortlos auf die Bescherung. Er quetschte einen derben Fluch durch die Zähne, der Johanna erzittern ließ, er verfluchte einmal mehr dieses Gesocks, dieses nichtsnutzigeGesindel, diesen asozialen, degenerierten Abschaum, diese faule und durch und durch verkommene und böse Bagage. Diesen verfluchten Dreck, diese mißratenen, vermoderten Kreaturen mit langen schmierigen Haaren, vergammelten Zähnen, diese wertlosen Säufer und Huren und ihre abscheuliche Nachkommenschaft.
»Diese elenden Dreckschweine! Diese elenden Dreckschweine haben die Reifen zerstochen! Alle vier! Das darf einfach nicht wahr sein!« heulte David. Mit den Dreckschweinen war die Familie über ihnen gemeint, dieses Geschmeiß, die schon morgens um vier die Musik auf volle Lautstärke drehten, die ihren Vogelbauer über dem Balkon saubermachten, wohl wissend, daß der ganze Dreck auf den darunterliegenden Balkon fallen würde, meist dann, wenn frischgewaschene Wäsche zum Trocknen auf dem Ständer hing. Jeden zweiten Abend feierten sie wüste Partys, mit Getrampel und Gegröle und Besäufnissen und anschließender Randale im Treppenhaus, sie pißten, schissen, fickten auf den stinkenden Treppen, dieses widerwärtige Gelump, das gefürchtet war im ganzen Haus, dreizehn Personen zwängten sich in die kleine Wohnung, davon sieben gestandene Männer, furchteinflößende Gestalten, die allesamt vom Sozialamt lebten, und das nicht schlecht. Sie waren gewalttätig, rücksichtslos, gewissenlos. Wenn David je gewissenlose Menschen kennengelernt hatte, dann dieses Otterngezücht. David glaubte nicht an das absolut Böse, doch in seinen Augen hatte diese Schlangenbrut einen sehr hohen Schlechtigkeitsgrad erreicht. Nur sie kamen für die zerstochenen Reifen in Frage, genau wie für die mit Kot beschmierten Autoscheiben vor einem halben Jahr, die in einer heißen Sommernacht durchs geöffnete Küchenfenster geflogenen faulen Eier, die eingeschlagenen Scheinwerfer. Als sie das Auto mit Kot überzogen hatten und David es sah, nicht sofort, sondern erst, als er die Tür aufschloß und in den Kot griff, hatte er sich in breiten Schwällen übergeben müssen.
Johanna sah mit stummem Entsetzen auf die Reifen, richtete den Blick gen Himmel, als könnte sie von dort Hilfe erwarten, und atmete ein paarmal tief durch. Sie bebte, rang um Fassung, lautlose Tränen liefen über ihre Wangen. »Was machen wir jetzt?« Sie wirkte so
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