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Die Bankerin

Die Bankerin

Titel: Die Bankerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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hilflos, so entmutigt, ihre Schultern hingen nach vorn.
    »Ich weiß es nicht. Wenn es nur ein Rad wäre … aber es sind gleich alle vier! Und dabei sind die Reifen erst ein halbes Jahr alt! Ob die Versicherung das bezahlt?«
    »Das ist mir so was von egal! Ich will nur so schnell wie möglich zu Vater!«
    »Ich werde den ADAC und die Polizei anrufen. Die werden uns helfen. Und du rufst bei deiner Mutter an und erklärst ihr, was passiert ist. Komm, wir müssen uns beeilen.«
     
    Drei Stunden später als geplant starteten sie. Die Versicherung würde die Kosten für die neuen Reifen übernehmen, die vom Autohaus komplett mit Felgen auf dem Parkplatz montiert worden waren.
    Als David und Johanna am späten Nachmittag – er war fast die ganze Zeit, wenn möglich, mit Höchstgeschwindigkeit gefahren – in dem kleinen Ort eintrafen, war Schwiegervater tot. Er war kurz nach Mittag gestorben. Jeder versuchte jeden zu trösten, es wurde geheult, geschluchzt, gejammert, der Tote bedauert und bemitleidet, man klopfte sich gegenseitig auf die Schultern, nur David tat nichts von alldem, seine Gedanken waren weit fort. Er konnte nicht trauern, nicht jammern, lamentieren, er hatte kein besonderes Verhältnis zu seinem Schwiegervater gehabt, dazu hatte er ihn zuwenig gekannt, so wie er auch kein Verhältnis zum Tod hatte. Er hatte nur Angst davor. Er stand starr vor diesem unheimlichen Gebilde, von dem manche behaupteten, daß es zum Leben gehörte, doch wenn es nach David gegangen wäre, so hätte das Leben ewig und der Tod nicht existent sein müssen. Der Tod war etwas, worüber er nicht nachdachte,selbst wenn es hieß, es gäbe ein Leben nach diesem Leben. Er fürchtete sich vor dem schwarzen, unheimlichen Mann mit der scharfen Sense. Er sah den Tod als weites, finsteres Loch, in das man hineingestoßen wurde, ohne zu wissen, ob irgendwo Grund war, man irgendwo landete, es irgendwo Licht gab, irgendwo in einer andern Sphäre Leben existierte, anders, nicht körperlich, aber Leben. Der Gedanke, nach diesem Leben könnte alles, aber auch wirklich alles vorbei sein, war es, was David am meisten ängstigte.
    Als eines Tages Schwiegervaters Nieren endgültig versagt hatten, war er nicht mehr derselbe Mensch. Er war ständig müde und abgespannt, nörgelte viel, schimpfte über Kleinigkeiten, nichts konnte ihm mehr recht gemacht werden. Dabei war es nur, weil er nicht mehr all das tun konnte, was früher sein Leben so lebenswert gemacht hatte, Angeln gehen, vor allem im Herbst und im Frühjahr, nachts, wenn alle noch schliefen, sich die warmen Klamotten überstreifen, Gummihose, Gummistiefel, den Seemannspullover, die Schiebermütze und nicht zu vergessen den Proviant aus belegten Broten und einer Thermoskanne voll Tee mit Rum. Und wenn er vom Angeln kam, schnitt er mit behenden Fingern die Fische auf, entgrätete sie und hängte sie, aufgespießt am Kopf, in den Räucherofen, den er mit Wacholderholz beheizte, und wenn der Fisch bereit war, dann wurde er meist mit Butterbrot und Salat gegessen und Bier dazu getrunken. Wenn Schwiegervater überhaupt etwas lieb und teuer gewesen war, dann das Angeln. Seit zwei Jahren war er nicht mehr Angeln gewesen. Zwei Jahre lebte er auf den Tod hin, verdrängte ihn, wo immer er konnte, doch aufhalten hatte er sich nicht lassen, und Schwiegervater hatte das gewußt und in dem Bewußtsein gelebt, und seine Augen waren stumpf und leer geworden.
    Als David Schwiegervater dahinsiechen sah, wünschte er sich nur, nie so sterben zu müssen. Abends einschlafen und morgens einfach nicht mehr aufwachen. Im Schlaf hinübergleiten,wo immer dieses Hinüber auch war. Doch niemals den Tod bewußt erleben.
    Sie hatten gesagt, Schwiegervater wäre mit einem Lächeln auf den Lippen eingeschlafen. Es hieß, viele würden mit einem Lächeln einschlafen. Es hieß auch, viele würden von ihren längst verstorbenen Verwandten abgeholt, um ins Jenseits geleitet zu werden. David hätte eine Menge dafür gegeben, hätte er von alldem überzeugt sein können.
    Die Beerdigung war für den Dienstag vorgesehen, zu lange für David. Er beschloß, am Sonntag wieder nach Hause zu fahren, Johanna sollte mit dem Zug nachkommen. Er war froh wegzukommen, weg von dieser Heuchelei, diesem Modergeruch, dieser Hektik. Er lernte Leute kennen, die er nie zuvor gesehen hatte. Er hoffte, Schwiegervater hatte seinen Frieden gefunden in einem Reich, in dem ihn keine Krankheit mehr piesackte. Und er fragte sich, ob Schwiegervater mit der

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