Die Bankerin
Osterferien an der Ostsee gewesen, eingeladen von Johannas ehemaligen Schwiegereltern, brave, gute und einfache Leute, die Johanna immer geliebt hatten und die ihrem mißratenen Sohn die Tür gewiesen hatten, als sie erfuhren, daß er Johanna regelmäßig verprügelt und vergewaltigt hatte. Sie hatten ihnen für zwei Wochen die beiden Wohnwagen auf ihrem Heimatcampingplatz zur Verfügung gestellt, direkt am Meer. Ererinnerte sich gern daran zurück, wünschte, seiner Familie wieder einmal einen schönen Urlaub gönnen zu können. Nach Mallorca oder auf die Kanaren, einmal drei Wochen nicht die Sorgen spüren, einmal andere Menschen sehen. Er räumte mit wehmütigen Gedanken die Wohnung auf, spülte Geschirr. Nathalie fragte ihn beim Frühstück, was los sei, ob er krank sei, doch David schüttelte nur den Kopf und meinte, er habe schlecht geschlafen und Kopfschmerzen. Der schweigsame Alexander verließ als erster grußlos das Haus, ihm folgten zehn Minuten später Nathalie und Maximilian. David beseitigte die letzten Spuren des Frühstücks, machte noch die Betten und saugte in der Küche die Krümel vom Boden. Setzte Wasser für Tee auf, und als der Kessel durchdringend pfiff, schenkte er die Tasse dreiviertelvoll und gab anschließend noch den letzten Rest Chantré aus einem Flachmann dazu. Er trank langsam und schlürfend.
Danach wollte er zu Thomas. Er übersprang gekonnt die Urinlache, drückte die Tür mit einem Finger auf, richtete den Blick weder nach links noch nach rechts. Auf dem Parkplatz stand einsam wie ein Relikt sein Wagen.
Er sah es schon in dem Augenblick, als er ins Freie trat. Er glaubte, Sand im Mund zu haben. Die Reifen! Er rannte hin und um den Wagen herum, bückte sich und faßte sie an, alle vier Reifen zerstochen, wie vor ein paar Tagen. Dazu dicke Kratzer im Lack, ein abgerissener Außenspiegel und die Scheibe auf der Beifahrerseite eingeschlagen, Splitter auf dem Beifahrersitz, der Mittelkonsole und auf dem Boden, Heroinbesteck im Wageninnern. Er taumelte benommen wie ein angeschlagener Boxer ins Haus zurück und rief aufgeregt die Polizei. Die Beamten ließen sich sehr viel Zeit mit dem Kommen, ein Protokoll wurde angefertigt, und zum Schluß gab ihm der ältere der beiden Polizisten den väterlichen Rat, David solle seine Familie nehmen und von hier verschwinden, er mache nicht den Eindruck, als würde er auf diesen Müllplatz gehören.
Blablabla, dachte er nur und nickte abwesend, mit den Gedanken unendlich weit fort, mitten in seinem tristen, öden, baum- und wasserlosen Land des Elends und der Dürre. Einige Hausbewohner gingen wie stumme Marionetten vorbei, nur ein Mann, mit dem David dann und wann ein paar belanglose Worte wechselte, ein Frührentner, wie er wußte, ein riesiger Mann mit freundlichen Augen, betrachtete das Auto und meinte: »Scheiße, hier ist alles Scheiße! Diese ganzen Häuser müßte man abbrennen. Aber wohin dann?« Nach diesen Worten ging der Mann mit langsamen, müden Schritten weiter. Er war in etwa so alt wie David, vielleicht sogar jünger, einer, der auch nicht hierhergehörte.
Montag, 9.30 Uhr
»Manfred Henning.«
»Hallo, ich wollte mich mal wieder bei dir melden«, sagte David. »Seid ihr inzwischen in der Sache Meyer vorangekommen?«
»Nein, keine Spur. Bei der Gelegenheit kann ich dir auch gleich sagen, daß ich dich sowieso heute oder morgen noch angerufen hätte, und zwar wegen Thomas. Es liegen weder eindeutige Beweise für oder gegen seine Schuld vor. Aber da er ja so krank ist, wird es wohl kaum zu einer Anklage kommen. Das zu Thomas. Meyer hatte sich übrigens in Asunción eine Nobelvilla zugelegt und sich, wahrscheinlich gegen gutes Geld, von den paraguayischen Behörden einen legalen Paß auf den Namen Manuel Martinez ausstellen lassen. Außerdem hatte er sein Äußeres verändert. Aber das wird wohl nicht der Hauptgrund für deinen Anruf sein. Was ist los?«
»Wir werden weiter terrorisiert. Das ist los. Mein Schwiegervater ist am Freitag gestorben, und als Johanna und ich losfahren wollten, waren alle vier Reifen zerstochen …«
»Das ist nun mal die Gegend, in der ihr lebt …«
»Aber warum immer nur wir? Und heute morgen das gleiche, die neuen Reifen zerfetzt, der Lack zerkratzt, die Seitenscheibe eingeschlagen. Sag mir, ist das Zufall?«
»Was ist schon Zufall und was nicht? Aber wenn’s wirklich jemand auf euch abgesehen hat – wie um alles in der Welt sollen wir herausfinden, wer es ist?«
»Deswegen rufe ich auch nicht
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