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Die Bankerin

Die Bankerin

Titel: Die Bankerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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oder Kroaten, an, und David fürchtete, sie könnten sich gleich prügeln. An den runden Stehtischen der Kioske wurde getrunken und sich laut unterhalten, und mit dem Geklapper unzähliger Schuhe auf dem Steinboden, den fast ununterbrochenen Durchsagen über Verspätungen oder gleich einfahrende Züge, dem durchdringenden Quietschen kreischender Bremsen und dem Schlagen von Türen vermengte sich dies alles zu einem dicken Brei in dieser riesigen, hohen, von früher zahllos hier eindonnernden Dampfloks rußgeschwärzten Halle. Es duftete an einer Ecke nach frischgebackenen Waffeln, an einer anderen nach Pizza, dann wieder war die Luft von Alkohol geschwängert, und dort, wo die Alkoholnebel am dichtesten waren, traf man auch die meisten Menschen.
    Johanna saß im vorletzten Wagen. Sie war durchgeschwitzt, und selbst der frisch aufgelegte Lippenstift und das Rouge vermochten nicht die Strapazen der vergangenen Tage zu überdecken. Ihre Haut wirkte grau, ihr Gesicht eingefallen, die Augen waren müde und glanzlos, tiefe Ränder darunter. Die Tasche, die sie trug, schien sie auf den Boden ziehen zu wollen, David nahm sie ihr sofort ab. Er lächelte und hauchte ihr einen flüchtigen Kuß auf die blassen Lippen.
    »Wartest du schon lange?« fragte sie erschöpft.
    »Nein, bin gerade erst gekommen«, log er. »Wie war die Fahrt?«
    »Ich hab in einem Abteil mit einer Frau und ihren drei Kindern gesessen. Ich wollte schlafen, aber sie haben mich nicht gelassen. Ich habe noch nie solch unerzogene Kinder erlebt! Was soll’s, es ist vorüber! Und wie ist es euch ergangen? Was macht deine Mutter?«
    »Sie ist gefahren …«
    »Was? Sie wollte doch bleiben, bis …« Sie blieb abrupt stehen, kniff die Augen zusammen. »Was ist passiert?«
    »Es gab einen kleinen Disput, und da ist sie einfach abgehauen. Sie hat mich zur Hölle gewünscht.«
    »Was hast du mit ihr gemacht?« fragte Johanna ärgerlich und faßte David am Arm.
    »Eine alte Geschichte, die ich dir irgendwann einmal erzählen werde. Aber nicht heute. Irgendwann«, wich David aus.
    »Ich will sie jetzt hören!«
    »Nein, verdammt noch mal!« fuhr David sie lauter als beabsichtigt an und drehte sich erschrocken um, ob auch niemand seinen Wutausbruch mitbekommen hatte, und fuhr leiser werdend fort: »Es geht jetzt nicht.«
    »Gut, aber du weißt, ich hasse solche Geschichten. Deine Mutter war nie böse zu uns …«
    »Ach ja, war sie vielleicht gut?! Hat sie jemals den Kindern eine Freude bereitet? Du kennst sie nur von den wenigen Besuchen in Helmbrechts, nur von den beiden Malen, die sie bei uns war. Ich kenne sie aber besser, ich kenne sie verdammt viel besser, diese elende Heuchlerin!«
    »Oh, mein Gott, jetzt geht es schon wieder ums Geld! Ich hätte mir denken können, daß du deswegen mit ihr gestritten hast.«
    »Nein«, erwiderte David kopfschüttelnd, »nicht deswegen! Es hatte mit Geld absolut nichts zu tun.«
    »Gut, du willst nicht, dein Leben ist ein großes Schweigen und ein noch größeres Geheimnis. Aber ich bin zu müde, um jetzt mit dir zu streiten.«
    Sie erreichten den Ausgang. Aus den schmutzigen Ecken neben den Pfeilern stieg der süßlich-saure Gestank von Urin nach oben. Es waren diese Ecken und Nischen um die Eingänge herum, wo häufig Obdachlose kampierten, wohin sie urinierten und manchmal auch mehr, wenn nachts der Bahnhof und die Toiletten geschlossen waren. Der Gestank hatte sich festgesetzt, und wenn auch regelmäßig saubergemachtwurde, so war der Geruch der Fäkalien über die Jahre hinweg in die Steine und Ritzen gekrochen und hatte sich wie mit stählernen Krallen festgesetzt. David hielt vom Fotoautomaten bis zum Bürgersteig die Luft an. In der drückenden Hitze war der Gestank noch intensiver als sonst. Er parkte im Halteverbot. Sein erster Blick galt der Windschutzscheibe, kein Strafmandat. Johanna fragte wie beiläufig, was mit dem Lack geschehen sei, David gab ihr nur eine knappe Antwort. Er packte die Reisetasche in den Kofferraum und schloß die Beifahrertür auf. Sie blieben noch einige Sekunden vor dem Auto stehen, um die Hitze entweichen zu lassen, dann setzten sie sich. Das Thermometer im Innern zeigte über 50 °C an.
    »Du bist sicher todmüde«, sagte David und drehte den Zündschlüssel.
    »Kannst du dir ja wohl denken, oder?«
    »Warum bist du auf einmal so eingeschnappt?« fragte David.
    »Laß mich zufrieden, okay! Laß mich einfach nur zufrieden!«
    Johanna schloß die Augen. Von Westen bewegte sich eine schwarze

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