Die Bedrohung
Sogar ihre Männlichkeit. Sahar und Ziba hatten den Köder geschluckt und dem Mann versichert, dass sie es tun würden. Keiner der beiden hatte gut geschlafen, und mitten in der Nacht waren sie übereingekommen, dass vier Granaten reichen mussten. Sie würden danach zu einer anderen Position fahren und von dort zwei weitere Granaten abfeuern.
Sahar kehrte zum Mörser zurück und sah seinen Freund an, der ihm mit einem Kopfnicken zu verstehen gab, dass er bereit war. Sahar ließ die Granate in das Rohr rutschen, und beide Männer traten einen halben Schritt zurück. Es ertönte ein lauter Knall, und die Granate jagte mit einem zischenden Geräusch zum Himmel empor. Sekundenbruchteile später würde die Schwerkraft zu wirken beginnen und das Geschoss auf die Erde hinunterziehen, hoffentlich ganz nah am Eingangstor des Stützpunkts. Ziba ließ die zweite Granate ins Rohr gleiten, und im nächsten Augenblick war auch sie unterwegs. Schließlich wurden auch die beiden restlichen Geschosse abgefeuert, und Sahar packte das heiße Rohr mit einer Hand und das Zweibein mit der anderen. Er hob die zwanzig Kilo Metall in den Kofferraum und lief zur Fahrertür. Gerade als er sich hinter das Lenkrad setzte, hörte er dieses Pfeifen, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ – das Signal, dass ein feindliches Geschoss angeflogen kam. Sahar trat mit aller Kraft aufs Gaspedal, und der kleine Toyota brauste los. Eine Sekunde später schlug die erste Granate ein und ließ den Boden in weitem Umkreis erbeben. Das Heckfenster wurde von einem Granatsplitter zertrümmert, doch der Wagen fuhr weiter.
Ziba saß auf dem Beifahrersitz neben Sahar. Die beiden Männer sahen einander an und lachten nervös. Mit ihren vierundzwanzig beziehungsweise fünfundzwanzig Jahren konnten sie über solche Dinge noch lachen. Acht Blocks weiter hielten sie an ihrer zweiten markierten Position an. Erneut holte Sahar den Mörser aus dem Wagen, und Ziba schnappte sich zwei Granaten. Sahar stellte die Waffe auf die Markierung und griff nach Zibas zweiter Granate. Er nickte seinem Freund zu, damit er weitermachte. Ziba fasste die Granate mit beiden Händen und ließ sie rückwärts ins Rohr gleiten. Die 60-mm-Granate donnerte mit gewaltiger Wucht aus dem Rohr.
Diese Asphaltstraße war fast durchweg von Erde und Sand bedeckt. Der Abschuss der Granate wirbelte eine Staubwolke auf, sodass Sahar das Rohr für einen Moment aus dem Blick verlor. Als er es wieder sehen konnte, machte er sich sofort daran, die zweite Granate zu laden. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und der Staub machte die Sache noch schwieriger. Unter besseren Bedingungen hätte er das Geschoss ohne Probleme ins Rohr gleiten lassen können, doch als er das teuflische Kreischen von mehreren herannahenden Geschossen hörte, geriet er in Panik und verfehlte das Rohr.
Die Granate fiel zu Boden, und Sahar erwartete, dass sie explodieren würde. Beide Männer erstarrten für einen Augenblick, sahen einander in die Augen und rannten im nächsten Moment, ohne ein Wort wechseln zu müssen, zum Auto. Bei jedem Schritt verfluchte sich Sahar dafür, dass er sich von dem Hisbollah-Mann zu einem so verrückten Angriff hatte provozieren lassen. Als er die Fahrertür erreichte, schlug die erste 155-mm-Haubitzengranate nur zwanzig Meter entfernt ein. Rasiermesserscharfe Granatsplitter schossen mit einer Geschwindigkeit von 5.000 Metern pro Sekunde in alle Richtungen. Im nächsten Augenblick wurden die beiden Männer von den glühend heißen Metallsplittern durchbohrt.
39
Mukhtar wandte den Blick nicht von der Straße, als er zu Rashid Dadarshi, dem Kommandanten der Quds-Einheit, sagte: »Startet die erste Welle.«
Mukhtar meinte die Teams mit den raketengetriebenen Granatwerfern, deren Aufgabe es war, die ersten beiden Fahrzeuge der Kolonne auszuschalten. Mukhtar und Dadarshi waren sich darin einig, dass ihre Waffen mit Leichtigkeit ausreichen sollten, um mit dem mickrigen Konvoi aus fünf Autos fertig zu werden. Dadarshi wies jedoch darauf hin, dass ihre Überlegenheit nur für begrenzte Zeit anhalten würde. Vielleicht nur wenige Minuten. Er erzählte Mukhtar so manche Geschichte von Gefechten, in denen es den Amerikanern gelungen war, binnen weniger Minuten nach Ausbruch der Kämpfe Verstärkung zu schicken, sei es in der Luft oder am Boden. Mukhtar hatte sich von Anfang an darum bemüht, die amerikanischen Verteidigungsmöglichkeiten so gering wie möglich zu halten. Er hatte von
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