Die Befreier von Canea
an.
»Ich bin hierhergekommen, weil ich um Frieden zwischen unseren Völkern bitten möchte«, sagte Isana und gestattete ihren Gefühlen, durch die Hand zu Sonnenuntergang zu fließen. Kurz spürte sie einen Drang zu lachen. Möglicherweise kam hier die aleranische Überheblichkeit, vor der Doroga sie gewarnt hatte, wieder ins Spiel. Wie kam sie zu der Annahme, sie könnte ihre Emotionen vor dem Eismenschen verbergen?
Sonnenuntergang holte tief Atem und neigte den Kopf. Eine kleine Woge der Gefühle, so wahrhaftig wie ihre eigenen, schwappte über Isana hinweg: Trauer vor allem, Gram und Reue, die sich über Jahre verfestigt hatten. Doch dazwischen mischte sich Begeisterung, Erleichterung und ein winziger Funken schmerzlicher Hoffnung.
»Endlich«, sagte Sonnenuntergang laut, »hat dein Volk einen Friedenshäuptling gesandt.«
Isana spürte, wie ihr die Tränen über das Gesicht rannen und brannten, als sie den Schnitt auf der Wange berührten. Stumm nickte sie.
»Leicht wird es nicht«, fuhr Sonnenuntergang fort. »Zu viel …« Eine Welle der Wut brandete gegen sie, und sie stammte von Sonnenuntergang selbst, auch wenn er sie beherrschte. Doch der sanfte Griff seiner Hand veränderte sich nicht. »Zu viel …« Er übermittelte ihr ein weiteres Gefühl: Misstrauen, ja, und darüber hinaus die Erwartung, betrogen zu werden.
»Ja«, sagte Isana leise. »Aber es ist notwendig.«
»Weil euch der Feind angreift«, erwiderte Sonnenuntergang ruhig. »Das wissen wir.«
Isana starrte ihn an. »Davon … wisst ihr?«
Er nickte. »Seit drei Jahren haben wir den Druck verstärkt, in der Hoffnung, der Feind würde euch im Süden schwächen. Euch zwingen, die Mauerwächter dorthin zu schicken, damit ihr eure Speisekammer verteidigt. Vielleicht wäre das Volk mitgezogen und hätte uns in Frieden gelassen.«
Plötzlich begriff Isana, warum die Eismenschen in den letzten Jahren so oft angegriffen hatten, warum die Winterstürme und die heulenden Horden immer zum unpassendsten Zeitpunkt eingetroffen waren, um die Legionen im Norden festzuhalten. Viele Aleraner, das wusste sie, hatten ein geheimes Einverständnis zwischen Eismenschen und Canim befürchtet, doch hatte es sich weder um einen gedankenlosen Angriff noch um ein bösartiges Komplott gehandelt. Die Eismenschen hatten einen geplanten Feldzug geführt.
»Der Feind ist jetzt ein anderer«, sagte Isana. »Einer, den ihr nicht kennt.«
»Ob nun dieser Feind oder ein anderer, ist für uns von wenig Belang.« Sonnenuntergang zuckte mit den Schultern.
Zum ersten Mal sagte Doroga etwas. »Sollte es aber. Höre sie an.«
»Der Feind, der uns angegriffen hatte, ist kein anderes Volk. Es geht ihm nicht um Land oder Macht. Sondern er ist hier, um alles zu zerstören, das nicht zu ihm selbst gehört. Er hat uns ohne Vorwarnung, ohne Zögern und ohne Gnade überfallen. Niemals wird er mit uns über Frieden verhandeln. Er metzelt Unschuldige und Krieger gleichermaßen nieder, und er wird das bei allen tun, auf die er bei seinem Feldzug trifft.«
Sonnenuntergang sah sie einen Moment lang an. »Bis heute hätte ich behauptet, dass dies auch auf dein Volk zutrifft. Vielleicht behaupte ich das sogar noch immer.«
»Dieser Feind heißt Vord. Und wenn er uns vernichtet hat, wird er hierherkommen und das Gleiche mit deinem Volk tun.«
Sonnenuntergang blickte Doroga an.
Der Marat nickte. »Und mit meinem. Die Aleraner haben eure Stämme gezwungen, ihre Streitigkeiten beizulegen. Denn sie waren ein größerer Feind. Jetzt ist ein weiterer Feind da, einer, der uns alle vernichtet, wenn wir unseren Streit nicht beilegen.« Doroga lehnte sich auf seinen Stock und sagte eindringlich: »Ihr müsst ihnen erlauben, sich in Frieden zurückzuziehen. Damit die Mauerwächter nach Süden ziehen und gegen diesen gemeinsamen Feind kämpfen können. Ihr müsst den Menschen hier Frieden gewähren.«
Sonnenuntergang starrte Doroga eine Weile lang an. »Wie hat dein Volk entschieden?«
»Wir lassen die Aleraner kämpfen«, erklärte Doroga. »Mein Volk kann die Vord nicht besiegen – im Augenblick nicht. Es sind zu viele, und sie sind zu mächtig. Du weißt, mein Volk hat nicht viel übrig für die Aleraner. Doch wir greifen sie nicht an, solange sie gegen die Vord kämpfen.«
Rotes Wasser fauchte: »Wir sollen also die Krieger ziehen lassen, aber das Volk nicht aus diesem Land vertreiben? Wenn die Schlacht vorüber ist, kehren ihre Krieger zurück und greifen wieder zu den
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