Die Befreier von Canea
Missfallen eine Augenbraue hochzog.
»Wie du wünschst, Majestät«, antwortete Ehren eilig und stieg die Treppe vom Dach des Turms hinunter. Schließlich nahm er sich einen Augenblick Zeit, um durchzuatmen, und begann mit dem Ritual, mit dem er sich stets beruhigte: Er überprüfte alle seine Messer. Das half ihm, die Bilder der Schlacht zu verdrängen und seine Gedanken zu ordnen.
Am wichtigsten war die Tatsache, dass nicht allzu viele Vord-Ritter auf die Stadt zuflogen. Sie waren, so nahm Ehren an, nicht weniger tödlich und fürchterlich, wenn sie sich durch die Gänge von Ceres hackten, wie oben am Himmel. Allerdings war ihm gar nicht so sehr daran gelegen, die Richtigkeit seiner Einschätzung unbedingt zu überprüfen.
Dabei hatte Ehren eigentlich gar nicht so viel Angst vor dem Kampf als solchem. Natürlich erschreckte ihn der Gedanke an eine Auseinandersetzung auf Leben und Tod. Das sollte aber bei jedem der Fall sein, der nicht gerade ein Idiot oder ein Wahnsinniger war. Zwar wusste er, wie gut er ausgebildet war und wie viel mehr er konnte, als man ihm auf den ersten Blick zutrauen würde, doch er kannte auch seine Grenzen genau, und da er weder schwachsinnig noch verrückt war, ging er Kämpfen bevorzugt aus dem Weg.
Insofern erschien es ihm weise, die Stadt zu verlassen. Die Vord-Ritter, so wurde angenommen, konnten den aleranischen Fliegern in Sachen Geschwindigkeit nicht das Wasser reichen, es sei denn auf sehr kurze Entfernungen. Bestimmt würde der Erste Fürst schon bald seine Kutsche rufen, und sie würden sich zur nächsten Festung zurückziehen. Im Augenblick konnte er sich gar nicht an deren Namen erinnern – eine große Stadt fünfzig Meilen nordöstlich des Dammwegs nach Alera Imperia.
Die führen alle nach Alera Imperia, Genius, sagte Ehren zu sich selbst. Er steckte das letzte Messer wieder an seinen Platz, schüttelte den Kopf und wusste plötzlich, was sie im Augenblick dringender als alles andere brauchten. Offensichtlich hatte der Erste Fürst es ohnehin schon längst erkannt, aber zumindest bewegte sich wieder etwas in Ehrens Kopf. Er drehte sich um und wollte wieder zur Treppe gehen, als er Stimmen auf dem Dach hörte und stehen blieb.
»… geht es gar nicht«, sagte Gaius mit seinem vollen Bariton. »Es muss sein.«
Eine Frau, deren Stimme Ehren noch nie gehört hatte, antwortete: »Das wird anhaltende Nachwirkungen haben.«
»Schlimmer als die jetzigen Erschütterungen und das, was noch dazu kommen wird, wenn du nicht tust, worum ich dich bitte?«
»Das hängt ganz vom Standpunkt ab, Kind«, antwortete die Frau belustigt.
Ehren riss die Augen auf. Kind? Kind? Wer würde es wagen, so mit dem Ersten Fürsten zu reden?
Gaius klang ebenfalls belustigt. »Geh mal von meinem aus.«
»Hm«, murmelte sie nachdenklich. »Einige von deinen Leuten sind unter ihnen.«
»Trotzdem.«
»Ich gebe da niemandem den Vorzug«, meinte sie. »Nicht aus eigenem Antrieb. Allerdings muss ich schon zugeben, dass ich mich an dich und die deinen … gewöhnt habe, Kind.«
»Ich bitte nicht um eine Sonderstellung«, sagte Gaius, »sondern nur um etwas günstigere Bedingungen.«
Sie lachte ein wenig spöttisch. »Du, Kind? Du möchtest die Gunst auf deiner Seite haben? Bestimmt nicht.«
»Die Zeit drängt«, sagte Gaius höflich und dennoch eindringlich.
»Bei dir und den Deinen ist das selten anders.« Sie hielt einen Moment lang inne, ehe sie hinzufügte: »Es ist ja möglich, dass dies unser letztes Gespräch ist.«
»Ich habe dir meine Wünsche mitgeteilt.«
»Dein Vater würde … wie sagt ihr noch?«
»Sich im Grab umdrehen«, half Gaius aus.
»Ja. Wenn es denn möglich wäre.«
»Aber du wirst meine Wünsche beherzigen?«
Ehren riss erneut die Augen auf, nicht so sehr wegen der Worte, die der Erste Fürst benutzt hatte, sondern wegen des Tons.
Es war eine Frage gewesen, kein Befehl.
Mit wem würde sich der Erste Fürst so zurückhaltend unterhalten?
»Es ist bisher noch nie so gemacht worden, aber ich glaube, ich werde es tun.«
Der Erste Fürst senkte die Stimme und sagte erleichtert: »Danke.«
»Du bedankst dich?«, fragte die Frau fröhlich. »Was ist nur mit der Welt los?«
Ehren brannte vor Neugier, ging die letzten Stufen hinauf und öffnete die Tür so leise wie möglich, ehe er sich umschaute.
Gaius stand immer noch an der gleichen Stelle. Ihm gegenüber stand eine Frau, die genauso groß war wie er. Ihre Haut hatte einen Bronzeton, ihr Haar war silbrig und mit
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