Die Begierde: Fallen Angels 4 (German Edition)
Mels; die Erinnerung daran, dass er nicht hierbleiben würde, war wie eine Ohrfeige. »Ah …«
Er sah sich über die Schulter. »Im Ernst, Mels. Würdest du das bitte tun?«
Mels setzte sich aufs Bett, alle möglichen Dinge schossen ihr durch den Kopf: Sie hätte wirklich gern geduscht … hoffentlich fand niemand ihre Kleidung, bevor sie zurück in das Bootshaus käme und sie holte … war sie wirklich ins Marriott marschiert wie eine Nutte, ohne Unterwäsche in einem Regenmantel?
Das alles war aber nur kognitive Dissonanz, eine Strategie, um nicht auf Matthias’ Bitte zu antworten.
Entschlossen riss sie sich zusammen und fragte: »Weißt du, warum ich es nicht tue?«
»Du bist lebensmüde.«
»Mein Vater war bei seinem Unfall angeschnallt, und deshalb kam er ums Leben.« Als Matthias sich langsam umdrehte, nickte sie. »Der Gurt hat ihn an den Sitz gefesselt. Ohne ihn wäre er aus dem Auto geschleudert und nicht zerquetscht worden. Weißt du, er ist auf die Ladefläche eines Transporters mit Gartengeräten aufgefahren, und dessen Metallkante hat sich durch die Tür geschnitten. Als die Sanitäter bei ihm eintrafen, war er noch am Leben, weil der Druck den Blutfluss verlangsamte. Er war sogar noch bei Bewusstsein. Er …« Sie musste sich räuspern. »Er wusste, dass er in dem Scheißauto sterben würde. Sobald sie ihn rausschnitten, würde er verbluten, und das … das wusste er. Er muss solche Schmerzen gehabt haben. Ich … kann mir nicht vorstellen, wie man mit so einer Situation umgeht. Aber weißt du, was er getan hat?«
»Erzähl mir davon«, sagte Matthias leise.
Für einen Augenblick verlor Mels sich in der Erinnerung an die Auseinandersetzung, die sie hinterher im Büro seines Vorgesetzten gehabt hatte, weil der ihr anfangs die Einzelheiten verschweigen wollte.
Aber verdammt noch mal, sie war Carmichaels Tochter, und sie hatte ein Recht, alles zu erfahren.
»Erst einmal musste er sich vergewissern, dass sie den Verdächtigen geschnappt hatten, und wurde wütend, als sich herausstellte, dass seine Kollegen sich zuerst um ihn gekümmert hatten.« Sie musste kurz lachen. »Dann hat … er sie schwören lassen, dass meine Mutter nie erfahren würde, wie er gestorben ist. Sie sollte glauben, dass er sofort tot war. Und das glaubt sie auch bis heute. Ich bin die Einzige aus der Familie, die weiß, wie sehr er gelitten hat. Und am Schluss hat er ihnen noch aufgetragen, auf Mom aufzupassen. Er hat sich wirklich Sorgen um sie gemacht. Um mich nicht. Um mich würde er sich keine Gedanken machen, hat er gesagt. Ich sei genauso hart im Nehmen wie er … ich sei seine starke, unabhängige Tochter …«
Sie konnte nicht mehr weitersprechen, Tränen brannten in ihren Augenwinkeln.
Nach einer Weile wischte sie sich die Wange ab. »Nie zuvor in meinem Leben war ich so stolz wie damals, als ich das hörte.«
Wieder wurde sie still. Und blieb es.
Seltsam, dachte sie. Dieser Moment im Büro des Vorgesetzten ihres Vaters hatte ihr Leben verändert, und dennoch hatte sie ihn abgespalten und als Teil ihrer Vergangenheit eingefroren, den sie hinter sich lassen musste.
Jetzt aber, in diesem Hotelzimmer, mit Matthias vor sich und Jim Heron, der sich im Nebenzimmer die Seele aus dem Leib kotzte, verknüpfte sich plötzlich alles miteinander, Vergangenheit und Gegenwart, wie zwei Eisenbahnwaggons, die endlich dicht genug zusammengeschoben worden waren, um aneinander anzudocken.
Sie riss sich aus ihren Gedanken. »Jedenfalls kann ich mich seitdem nicht mehr überwinden …« Sie hustete. »Ich bin nicht lebensmüde. Nenn es von mir aus einen logischen Kurzschluss, aber sterben möchte ich nicht.«
Gott wusste, dass sie das nicht wollte.
Als Matthias sich neben sie setzte, bereitete sie sich innerlich auf den üblichen Text vor: Statistisch gesehen, ist es extrem unwahrscheinlich, dass du in genau dieselbe Lage gerätst, bla, bla, bla.
Doch stattdessen legte er nur die Arme um sie.
Seine Freundlichkeit, Fürsorge, das stille Verständnis waren eigenartig niederschmetternd.
Sie lehnte sich an seine Brust. »Das habe ich noch nie jemandem erzählt.«
Er küsste sie auf die Haare, und erschauernd gab sie sich seiner Kraft hin – und es war phänomenal.
Sie hatte ja keine Ahnung gehabt, welche Last sie die ganzen Jahre allein mit sich herumgeschleppt hatte.
Komisch, fiel ihr auf, während sie sich aneinanderkuschelten und die Wärme ihrer Körper immer größer wurde: Er hatte ihr durch eine Entschuldigung seine
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