Die Begierde: Fallen Angels 4 (German Edition)
«
Er musste brüllen. »Mels? Mels! Bist du …«
»Ich bin bei Jim. Heron, meine ich. Wir sind hier in Schwierigkeiten …«
»Was ist passiert?«
»Mir geht’s gut, aber Jim hat’s bös erwischt …«
»Wurde er angeschossen?«
»Ich weiß nicht, was …«
»Wo seid ihr?«
Sie nannte ihm ihren Standort. Dabei beugte sie sich zur Seite und spähte durch die offene Tür des Bootshauses. Auf der Wiese spielte das lachende Kind mit seiner Mutter, hinten bei den Parkbänken. Sonst war niemand da.
Schwer zu sagen, ob das gut oder schlecht war.
»Mels, könnt ihr dort bleiben, ist es sicher?«
Sie griff in die Handtasche, nahm die Neunmillimeter heraus und überprüfte das Magazin. Voll geladen.
»Ich sorge dafür, dass es sicher ist.«
»Also, Adrian und ich müssen uns noch ein Fahrzeug besorgen, wir sind gerade auf seinem Motorrad unterwegs. Aber wir sind sofort da.«
»Kommt einfach, so schnell es geht. Bis dahin passe ich schon auf.«
Sie legte auf, behielt das Handy in der linken Hand, die Waffe in der rechten und ging zu Jim.
Er verströmte einen seltsamen Duft, den Mels als das erkannte, was sie vorhin an dem merkwürdigen Mann gerochen hatte. Und falls sie nicht völlig falsch lag, war das auch die Ursache für Jims Brechreiz.
Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich lasse dich nicht allein.«
Kam nicht infrage. Er hatte ihr zweimal das Leben gerettet – was ihn in ihren Augen zu einem Engel machte.
Egal, wie abweisend er aussah.
Heron blickte auf, offenbar versuchte er, sich aus dem Strudel seiner Übelkeit zu ziehen. »Jetzt also doch zum Du gewechselt?« Der Versuch eines Grinsens scheiterte. »Eigentlich soll ich ja dich beschützen.«
Sie runzelte die Stirn. »Warum?«
»Weil du … der Schlüssel zu ihm bist.«
»Zu wem?«, flüsterte sie.
Erst einmal musste er sich wieder übergeben, aber sie kannte die Antwort bereits. »Hat Matthias dich zu mir gesch…«
Das Klingeln ihres Handys schnitt ihr das Wort ab. Nummer unbekannt.
Auf gar keinen Fall würde sie den verdammten Anruf annehmen.
Sie hatte momentan schon genug Sorgen, vielen Dank auch.
Neununddreißig
Dreihundertfünfzig Jahre. Vielleicht auch vierhundert. Ach was … tausend.
So lange dauerte es, um mit dem Pick-up vom ländlichen Rand Caldwells in die Innenstadt zu fahren.
Matthias stand kurz davor, sich die Gesichtshaut abzuziehen, als Adrian endlich auf einen Parkplatz neben einem Park einbog. Keine Sekunde später sprangen die beiden aus dem Wagen und ließen ihn achtlos wie Sperrmüll stehen.
Kein Rennen aber, obwohl er in Panik war. Lange Schritte mit dem Gehstock, aber kein Rennen. Nur er und ein Kumpel, auf einem Spaziergang, nichts Besonderes.
Durch Mels’ Sonnenbrille getarnt, suchte er den Park ab. Nichts, abgesehen von einer Mutter mit ihrer Tochter auf der Schaukel.
Genau wie Mels es beschrieben hatte, stand am Flussufer ein altes Bootshaus. Der große Kasten mit den rautenförmigen Fenstern und den Zedernschindeln saß am Ufer wie eine Henne im Nest, die gleich ein Ei legen wollte. Und je näher sie kamen, desto mehr wirkte Jims Mitbewohner, als wollte er jemanden umbringen.
Matthias ging es genauso.
Die offene Tür war breit, aber innen war es so dunkel, wie der Himmel geworden war, kurz bevor diese Schatten bei der Garage auftauchten. Als Matthias’ gesundes Auge sich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, tauchten gestapelte blaue, rote und gelbe Ruderboote auf, außerdem eine Wand voller Schwimmwesten. Irgendwelche Vögel flatterten aus den Dachbalken über die leeren Liegeplätze.
Aus irgendeinem Grund hasste er das Geräusch des um das Holz herum schmatzenden Wassers, das Klatschen und Saugen hatte etwas Raubtierhaftes.
»Mels?«, sagte er leise. »Mels …«
In diesem Moment trat sie zwischen in Planen gehüllten Segelbooten und einem Stapel Ruder hervor.
»Oh, Mels, du lieber Gott …«
Matthias schoss los, den Stock in die Holzplanken donnernd, und warf die Arme um ihren Körper …
Er sprang zurück und blaffte: »Du bist ja nass.«
»Ich weiß. Jim ist da drüben.«
»Scheiß auf ihn …«
Über seine Schulter hinweg sah Mels Adrian und erstarrte, als hätte sie ihn vielleicht erkannt. »Äh, er ist da hinten. Ich weiß nicht, was er hat, aber es geht ihm wirklich nicht gut.«
Sofort steuerte der Mitbewohner zu dem Fleckchen, wo Mels sich und Jim versteckt hatte.
»Wer hat dir was getan?« Hastig riss Matthias sich die Jacke vom Leib und legte sie ihr um. »Doch nicht
Weitere Kostenlose Bücher