Die Begierde: Fallen Angels 4 (German Edition)
lieber in den Spiegel schauen sollen. Das klingt jetzt komisch, aber … seit er tot ist, vermisse ich mein eigenes Leben. Verstehst du, was ich meine?«
»Aber natürlich. Ihr beiden wart euch so ähnlich. Du weißt das sicher, aber er war unheimlich stolz auf dich.«
»Es ist komisch, als Kind habe ich mich immer gefragt, ob er lieber einen Sohn gehabt hätte.«
»Aber nein, überhaupt nicht. Er wollte dich. Er hat immer gesagt, du wärst das perfekte Kind für ihn. Nichts hat ihn stolzer und glücklicher gemacht als du, und das war einer der Hauptgründe, warum ich ihn so geliebt habe. Die Vater-Tochter-Bindung ist so wichtig, ich muss das wissen. Ich war auch ein Papakind, und genau das wollte ich für dich. Und du hattest es mit ihm. Ich wünschte nur, es hätte länger angehalten.«
»Ach, Mom, ich liebe dich.« Mels sprang vom Stuhl auf, ging vor ihrer Mutter auf die Knie und umschlang sie. »Ich liebe dich so sehr.«
Als sie spürte, wie ihre Umarmung erwidert wurde, dachte sie, wenn sie das jemals gebraucht hatte, dann heute.
Im Sonnenschein, der in die Küche fiel, in den Armen einer Mutter, die zu verstehen sie niemals geglaubt hätte, erkannte Mels, dass ihr Vater nicht der einzig tolle Mensch in der Familie gewesen war. Und sie hatte das furchtbare Gefühl, dass es niemals zu diesem Moment gekommen wäre, wenn er nicht gestorben wäre.
Vielleicht war ja etwas dran an dem Spruch, dass Gott ein Fenster öffnete, wenn er eine Tür schloss.
Mels löste sich von ihrer Mutter und wischte sich erneut das Gesicht trocken. »Tja. Da siehst du mal.«
Ihre Mom lächelte. »Das hat dein Vater immer gesagt.«
»War er so gut zu dir, wie er zu mir war?«
»Ganz genauso wundervoll. Dein Vater ist etwas ganz Besonderes – und sein Tod hat daran nichts geändert.«
Mels stand auf. »Ich, äh, hab vorhin Kaffee gekocht. Möchtest du welchen?«
»Ja, bitte.«
Als Mels sich zur Kaffeekanne und dem Schrank umdrehte, dachte sie, wenigstens war nicht alles verloren. So untröstlich sie auch wegen Matthias war, aber das hier gab ihr etwas Frieden.
Und veranlasste sie dazu, darüber nachzudenken, wo sie stand.
Diese ganzen vermissten Personen hatte sie vielleicht nicht gefunden, aber wenigstens war sie nicht mehr in ihrem eigenen Leben verloren.
Siebenundvierzig
Im Marriott in der Innenstadt hatte Adrian beim Abgang der Reporterin einen Platz in der ersten Reihe gehabt: Er hatte im Flur gesessen, als die Frau abgerauscht war, und ihr Gang hatte klar und deutlich verraten, dass sie alles andere als begeistert war.
Außerdem war die Knarre in ihrer Hand ebenfalls ein Wink gewesen. Mit dem Zaunpfahl.
Sah ganz so aus, als hätte er sein Sexleben völlig umsonst aufgegeben.
Als sie in den Aufzug gestiegen war, hatte Adrian Anstalten gemacht, auf die Füße zu springen – und es zum ersten Mal in seinem Leben nicht auf Anhieb in die Vertikale geschafft.
Sein Körper weigerte sich einfach, richtig zu funktionieren, der Schmerz in seinen Beingelenken bremste ihn, das fehlende räumliche Sehen erzeugte ein wackeliges Gleichgewichts problem …
»Was zum Henker ist mit dir los?«
Ad wandte sich nach links. Jim war in all seiner Pracht eingetroffen – oder besser gesagt, in all seiner Verwahrlosung. Der Typ sah aus, als wäre er mit dem Arsch voran durch einen Rosen strauch geschleift worden, seine Haare standen ab, die Klamotten waren zerknittert, die Tränensäcke groß genug für einen Familienurlaub.
Bei Adrians Anblick erstarrte er. »Was hast du getan?«
Ad ließ ihn seine eigenen Schlussfolgerungen ziehen. So komplex war die Lösung nicht – und jupp, Jim wusste bereits Bescheid: Sein Kopf drehte sich langsam zu Matthias’ Zimmertür um.
»Ist er geheilt?«
»Du hast gesagt, sie wäre der Schlüssel – also hab ich ihm ermöglicht, ihr ein bisschen näherzukommen. Sozusagen.«
Ad rieb sich den Nacken und machte sich auf eine Predigt oder vielleicht auch einen kleinen Ausraster gefasst. Offen gestanden, hatte er einfach nicht mehr die Energie für ein weiteres Drama.
»Geht’s dir gut?«, fragte Jim rau.
»Ja, bin nur ein bisschen steif. An das fehlende räumliche Sehen kann man sich gewöhnen. Ich kann trotzdem noch kämpfen …«
»Das ist mir scheißegal. Ich will wissen, ob es dir gutgeht. Bleibt das für immer so?«
Adrian blinzelte. »Äh, wahrscheinlich.«
»Alter Falter.« Jim sah wieder zur Zimmertür. »Du hast dich echt geopfert.«
Die Bewunderung und Achtung in der Stimme des
Weitere Kostenlose Bücher