Die Begierde: Fallen Angels 4 (German Edition)
man säte.
Sechsundvierzig
Als Mels nach Hause kam, nahm sie die längste Dusche ihres Lebens: Nachdem sie sich mit einem seifigen Waschlappen abgeschrubbt hatte, stand sie noch so lange unter dem Strahl, bis der Boiler leer war und das Wasser eiskalt wurde.
Hinterher wickelte sie ihren geröteten Körper in ein Handtuch und sagte sich, sie hätte Matthias wirklich nicht erzählen sollen, dass sie die Polizei rufen würde. Unter Garantie hatte er sich längst aus dem Hotelzimmer abgesetzt. Wobei er das, so paranoid er die ganze Zeit gewesen war, wahrscheinlich ohnehin getan hätte, nachdem seine Lüge aufgeflogen war.
Wenigstens hatte sie das Richtige getan. Sie hatte Detective de la Cruz noch im Taxi vom Handy aus angerufen, und zwar bei ihm zu Hause. Und sie hatte ihm alles erzählt, obwohl sie das Gefühl gehabt hatte, ihrem Vater mit ihrem Verhalten Schande bereitet zu haben.
Aber wenigstens kümmerte de la Cruz sich ab sofort um die Sache: Matthias’ Zimmer würde sofort durchsucht werden, wahrscheinlich war sogar schon …
Mist. Sie hätte dort warten sollen, damit die Polizei Matthias noch vorfand, aber in dem Moment hatte sie nur an ihre eigene Sicherheit gedacht.
Lieber Himmel, sie fühlte sich so schmutzig … und ihre Gefühle waren ein einziges Chaos.
Das Absurde daran war natürlich, dass die Reporterin in ihr überzeugt war, es würde ihr besser gehen, wenn sie die Gründe kennen würde: warum sie? Warum jetzt?
Was zum Teufel hatte er eigentlich gewollt?
Vielleicht wäre dieser Ansatz aber auch ungefähr so erhellend wie einen außer Kontrolle geratenen Bus zu fragen, was er sich dabei »gedacht« hatte, genau diesen Fußgänger zu überfahren.
Beim Anziehen gab sie sich mehr Mühe als sonst, und dann vertrödelte sie noch eine extra Viertelstunde damit, sich die Haare mit einem Lockenstab zu frisieren – was praktisch noch nie vorgekommen war.
Das letzte Mal hatte sie das Gerät vor eineinhalb Jahren benutzt, als sie zur Hochzeit einer Freundin eingeladen gewesen war.
Schminke schien auch eine super Idee, und sie warf sich sogar in Pumps.
Schließlich holte sie tief Luft und betrachtete sich in dem Spiegel in der Schranktür.
Scheiße. Immer noch sie selbst.
Sie hatte wohl gehofft, jemand anderen zu sehen, jemanden, der nicht in der vergangenen Nacht einen fast Fremden gevögelt hatte. Und der sich als gewalttätiger Krimineller entpuppt hatte.
»Oh Gott …«
Angeekelt drehte sie sich den Rücken zu, ging nach unten und stellte die Kaffeemaschine an. Zu den Tassen im Schrank schaffte sie es allerdings nicht. Sie sank auf ihren Platz am Küchentisch und rührte sich auch nicht, als das Gurgeln immer lauter wurde, weil der Kaffee bald fertig wäre.
In der beklemmenden Stille des Hauses schien ihr Verstand geradezu besessen davon, den Matthias-Film immer und immer wieder abzuspielen, alles von dem Unfall vor dem Friedhof bis zu ihrem Besuch im Krankenhaus danach; von der Garage, bei der sie ihn aufgespürt hatte, bis zu ihnen beiden im Hotelzimmer; vom ersten Abend bis zu letzter Nacht …
»So dämlich. So gottverdammt dämlich.«
Sie stützte den Kopf in die Hände, rieb sich die Schläfen mit den Daumen und fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis sie nicht mehr sich selbst die Schuld an diesem ganzen Mist gab.
Ziemlich lange. Vielleicht bis ans Ende ihres Lebens.
Am liebsten hätte sie die Uhr zurückgedreht bis zu jenem Abend, als Dick an ihren Schreibtisch getreten war und seine Armleuchter-Nummer abgezogen hatte. Wenn sie doch nur früher gegangen wäre, um fünf Uhr mit den anderen Kollegen, dann wäre ihr der Lustmolch von Chef erspart geblieben … und auch alles, was danach kam.
Wenn sie doch …
Sie saß in der fröhlichen Küche ihrer Mutter. Die Minuten vergingen, die Sonne wanderte weiter, wärmte ihr zuerst den Rücken, dann seitlich Gesicht und Körper. Und parallel dazu verschob sich auch die Innenschau, von Matthias zu anderen Bereichen ihres Lebens – zu ihrem Beruf und wie es gewesen war, in diesem Haus zu wohnen, wie die letzten Jahre seit dem Tod ihres Vaters verlaufen waren.
Im Rückblick war klar, dass sie diesen Weckruf gebraucht hatte. Sie war innerlich so getrieben gewesen, und gleichzeitig im Leerlauf: Sie hatte zu Hause gewohnt, war aber nicht für ihre Mutter da gewesen; hatte ihren Vater betrauert, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Aber im Ernst. Wenn ein paar Veränderungen in ihrem Leben nötig gewesen waren, warum konnte sie sich
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