Die Begierde: Fallen Angels 4 (German Edition)
Anfang neu geschrieben hatte, speicherte sie den Brief, ohne ihn auszudrucken. Es gab hier noch ein paar Dinge abzuschließen, und Dick war genau der Typ Arschloch, der ihr die zweiwöchige Kündigungsfrist um die Ohren hauen und sie auf der Stelle davonjagen würde.
Außerdem wäre es wahrscheinlich besser, erst zu wissen, wohin sie ginge. Bei der Wirtschaftslage kündigte man nicht einfach so.
Sie lehnte sich zurück und starrte wieder ihren Bildschirm an.
Schwer zu sagen, wie lange es dauerte, bis sie den USB -Stick aus der Tasche holte. Konnten zehn Minuten gewesen sein. Fünfzig. Eineinhalb Stunden.
Sie drehte ihn in der Handfläche hin und her und zog die Kappe ab, sodass der Metallstecker zum Vorschein kam. Dann lehnte sie sich vor, hielt ihn vor den USB -Anschluss … und hielt inne, ehe sie ihn ganz eingesteckt hatte.
Kurz entschlossen stand sie auf, hängte sich die Tasche über die Schulter und ging zu Tonys Trennwand hinüber. »Ich bin weg, muss was nachprüfen. Wenn mich jemand sucht, richte doch bitte aus, er soll mich auf dem Handy anrufen, ja?«
»Mach ich.« Da klingelte sein Telefon. »Tony DiSanto – hey, hallo, ich hab schon auf Ihren Rückruf gewartet.«
Als er ihr zuwinkte und in das Gespräch einstieg, fiel Mels ein, dass sie immer noch kein Auto hatte.
Es dauerte ein bisschen, bis sie ein Taxi erwischte – und vier Uhr nachmittags war so kurz vor der Rushhour, dass ihr Wagen auf dem Northway im Stau stecken blieb. Als sie endlich zu Hause ankam, war ihre Mutter schon weg. Der Kalender verriet ihr, dass Bingo-Abend war, und plötzlich fragte sie sich, warum sie all die Einträge in den kleinen Kästchen noch nie bemerkt hatte. Bridge, Pilates, Yoga, Ehrenamt in der Kirche, Dienst bei der Hotline der Kinderklinik des St. Francis’, Mittag- und Abend essen mit den Mädels …
Wenigstens wäre ihre Mutter nicht allein, wenn Mels wegzöge.
Sie schnappte sich einen Himbeer-Eistee aus dem Kühlschrank und ging nach oben, die Holzstufen knarrten wie eh und je. In ihrem Zimmer schloss sie die Tür und wandte sich dem Schrank zu.
Irgendwie hatte sie das Gefühl, als solle sie ihre Koffer ausgraben und packen.
Anstatt damit aber viel zu früh anzufangen, sah sie zu ihrem Schreibtisch hinüber. Ihr alter Laptop stand auf derselben lackierten Holzplatte, an der sie auch schon als Schülerin ihre Hausaufgaben erledigt hatte.
Sie setzte sich auf den Stuhl und holte den USB -Stick aus der Tasche.
Bevor sie ihn einsteckte, zog sie noch das Modemkabel heraus. Dann meldete sie sich an und schaltete WLAN ab.
»Ich muss total verrückt sein.«
Als sie schließlich den Stick einstöpselte, erschien das automatische Fenster auf dem Bildschirm, und sie wählte für das Wechsellaufwerk (E:) die Option »Ordner öffnen, um Dateien anzuzeigen«.
»Um Himmels willen.«
Das Verzeichnis war so groß, dass sie nach unten scrollen musste. Word-Dokumente. PDFs. Excel-Tabellen. Die Dateien trugen alphanumerische Namen, die eindeutig zu einem Organisationssystem gehörten, das sie aber auf Anhieb nicht nachvollziehen konnte.
Also suchte sie wahllos ein Dokument aus, öffnete es per Doppelklick und riss den Kopf nach vorn.
Es schien sich bei den Dateien um Dossiers über Männer zu handeln, mit Foto, Namen, Geburtsdatum, Größe, Gewicht, Augen- und Haarfarbe, medizinischen Informationen, Ausbil dungszeugnissen und Aufträgen – mein Gott, die Aufträge. Sortiert nach Datum und mit Notizen versehen zu Land und Zielperson … und Anschlag.
»Ach du lieber …«
Sie rief das Verzeichnis wieder auf und öffnete eine andere Datei, die offenbar Geldsummen auflistete, riesige Geldsummen, und dann noch eine, verschlüsselte, über Kontakte in Washington., D . C. und die »Gefallen«, um welche diese Personen gebeten hatten. Und einige Texte über Rekrutierung und Ausbildung …
Du willst die Story deines Lebens? Das ist sie.
Während das Tageslicht schwand und die Nacht über Caldwell hereinbrach, saß Mels an ihrem Kinderschreibtisch und las alles von vorne an durch.
Irgendwann kehrte sie zu den Dossiers zurück, und dieses Mal ließ sie sich Zeit.
Auf gewisse Weise waren die Männer alle gleich, die Gesichter und persönlichen Merkmale verschmolzen zu einem Archetypus von Aggression und Effektivität. Und wenn die Auftrags listen stimmten, hatte sie von diesen Morden gelesen, von denen manche der internationalen Öffentlichkeit als »natürlicher Tod« oder »Unfall« oder »Gegenangriffe
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