Die Begierde: Fallen Angels 4 (German Edition)
seltsamer chemischer Duft kitzelte in seiner Nase. Aber es war kein Bohnerwachs oder Fensterreiniger; es war die Tinte aus den Druckpressen.
»Hier.« Sie ging zu einer braunen Tür, drückte die Klinke und schob sie mit der Hüfte auf.
Im Konferenzraum standen lauter unterschiedliche Stühle und ein langer Tisch, der aus einem Sammelsurium von Einzelteilen zusammengeschustert war, sozusagen der Frankenstein unter den Büromöbeln. In einer Ecke befand sich ein Wasserspender, und sie ging ihm einen Papierbecher voll holen.
»Trink das.«
Er gehorchte, und während er schluckte, versuchte er, sich zusammenzureißen.
Mels setzte sich auf den Tisch und ließ die Beine langsam vor und zurück schwingen. »Sprich mit mir.«
Mann, wie konnte er ihr erzählen, an was er sich erinnert hatte? Warum war er überhaupt hergekommen? Tja, darauf wusste er wenigstens die Antwort: Zu einem einzigen Menschen wollte er ehrlich sein. Endlich einmal. Er musste einfach diese Verbindung zu ihr herstellen – so als befände er sich im freien Fall, und sie wäre das Rettungsseil. Die Worte, die er aussprechen musste, waren das Festhalten dieser Rettungsleine.
»Ich habe meinen Vater umgebracht.«
Ihre Füße bremsten mitten im Schwung, ihre Schultern verkrampften sich.
»Es war nach Jahren, die er …« Sag es. Sag es. Sag es einfach, verflucht. »Er war ein gewalttätiger Mann, und er hat getrunken. Es waren … Dinge passiert, die nicht hätten passieren dürfen, und ich …«
Das Licht kehrte nach und nach in ihre Augen zurück, Mitgefühl schob sich wieder in den Vordergrund.
Aber als es aussah, als wollte sie auf die Füße springen und ihn in den Arm nehmen, hielt er beide Hände hoch. »Nein, ich kann nicht – ich schaffe das nicht, wenn du mich anfasst.«
»Ist gut«, sagte sie langsam.
»Ich weiß nicht einmal, warum ich dir das erzähle.«
»Es muss keinen Grund geben.«
»Aber ich hab das Gefühl, es sollte einen geben.«
»Du weißt, dass du mir vertrauen kannst, oder? Ich bin vielleicht Reporterin, aber ich habe es ernst gemeint, als ich sagte, das sei nur mein Job.«
»Ja.« Er rubbelte sich über die Haare und setzte die Sonnenbrille ab. »Entschuldige, aber ich möchte dich ganz deutlich sehen.«
Sie sah ihn fragend an. »Kein Grund, dich zu entschuldigen.«
Er drehte die Ray-Ban in der Hand hin und her. »Ich dachte, es wäre dir lieber, wenn ich die anhabe. Du weißt schon, beim Essen in dem Lokal. Damit du mein Gesicht nicht sehen musst.«
»Deshalb hab ich sie dir doch nicht gegeben. Ich finde dich nicht hässlich, Matthias, überhaupt nicht. Und du musst dich nicht verstecken.«
Irgendetwas sagte ihm, dass das nicht von Dauer wäre. Er hatte so eine Ahnung, dass je mehr über ihn herauskäme, desto schlimmer würde das Bild von ihm werden – wie ein Malen nach Zahlen, bei dem man glaubte, ein hübsches Motiv zu zeichnen, und am Ende war es Michael Myers aus John Carpenters Halloween .
»Ich habe ihn in die Zange genommen«, hörte Matthias sich sagen. »Ich bin zu meiner Klassenlehrerin gegangen, dann zur Schulkrankenschwester, und ich habe ihnen alles erzählt, die Fehlzeiten erklärt, die blauen Flecke und das … andere Zeug. Ich war fünfzehn. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich alles für mich behalten.«
»Oh mein Gott, Matthias …«
»… aber dann habe ich die Katze aus dem Sack gelassen, und die Bürokratie kam ins Rollen. Er hatte vor meinen Augen einen Herzinfarkt, nachdem ich ihm sagte, dass alle Bescheid wussten.«
»Und deshalb glaubst du, ihn umgebracht zu haben? Matthias, du hast nichts Falsches getan.«
»Doch, das habe ich. Ich habe ihm beim Sterben zugesehen. Ich habe nicht den Krankenwagen gerufen, keine Hilfe geholt, ich stand einfach untätig daneben, als er vor mir zu Boden ging.«
»Du warst ein Missbrauchsopfer und standest unter Schock. Es war nicht deine Schuld …«
»Ich hab es absichtlich getan.«
Jetzt runzelte sie erneut die Stirn. »Das verstehe ich nicht.«
»Mir war egal, was er mit mir gemacht hat. Der ganze Mist war eher lästig als alles andere.« Er zuckte die Achseln. »Dass ich die Sache gemeldet habe, war mehr wie eine mentale Übung. Ich kannte ihn gut.« Er tippte sich an die Schläfe. »Ich wusste, wie er dachte, wie er tickte. Er mochte es, gemein zu sein und Macht über mich auszuüben. Er war kein sonderlich heller Bursche, einer der den ganzen Tag nur Tiere und Maiskolben um sich hatte – erst bei Erwachsenen auf seiner Ebene kam sein
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