Die Begierde: Fallen Angels 4 (German Edition)
Minderwertigkeitskomplex zum Tragen. Er hatte mir immer damit gedroht, mich umzubringen, wenn ich jemandem etwas erzählen würde, dadurch hat er sich verraten. Die Geheimhaltung war wahnsinnig wichtig für ihn, und das nicht nur, weil es verboten ist, grausam zu seinem Kind zu sein. Ich wusste, dass ihn das treffen würde. Und mehr noch, als die Misshandlungen zu stoppen, wollte ich einfach sehen, was passieren würde.«
»Moment mal, eine Frage: Wie lange hast du bei ihm gelebt?«
»Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben.«
»Dein ganzes Leben also.«
»Eine Zeitlang war ich woanders, aber dann kam ich zu ihm zurück.«
»Als du klein warst.«
»Ja.«
»Und bist du schon einmal auf die Idee gekommen, dass du einfach nur ein Kind warst, das sich selbst gerettet hat?«
»Das war das Endergebnis, aber nicht meine Motivation. Und genau das macht mich so fertig.«
Mels schüttelte den Kopf. »Ich glaube, du musst dir gegenüber etwas nachsichtiger sein.«
Ach, zum Henker, sie würde es nicht begreifen. Er sah es in ihren Augen – sie hatte sich bereits eine Meinung über ihn gebildet, und nichts würde sie von ihr abbringen.
»Matthias ist nicht mein richtiger Name.«
»Sondern?«
Es war ihm wieder eingefallen. Beim Frühstück.
Sehr lange sah er sie nur an, betrachtete ihr Gesicht, ihren Hals, den schlanken Körper … und dann wieder ihre klugen Augen.
Diese Information würde er ihr nicht geben. Er konnte es nicht.
In der folgenden Stille empfand er ein unwiderstehliches Bedürfnis, noch einmal mit ihr allein zu sein, nicht in der Öffentlichkeit. In seinem Zimmer. In dem Hotelbett mit den Laken, die nach Zitrone rochen. Er wollte etwas von ihr haben, bevor er ging, als wäre sie eine Art Medikament, das ihn noch etwas am Leben erhielte, wenn auch nur kurz.
Denn er würde bald sterben, erkannte er.
Das war keine Paranoia. Es war … so unausweichlich, wie seine Vergangenheit in Stein gemeißelt war.
»Ich hab nicht mehr viel Zeit«, sagte er leise. »Und ich möchte mit dir zusammen sein, bevor ich gehe.«
»Wohin gehst du denn?«
Er machte eine Pause. »Weg.«
Fünfundzwanzig
Mels stockte der Atem, als die Überzeugung in ihr reifte, dass Matthias ebenfalls ein Vermisster war, auch wenn er einen Führerschein und – vermeintlich – ein Haus besaß: Obwohl er vor ihr stand und ihr in die Augen blickte, war es, als wäre er gar nicht im Raum.
Hier für einen Sekundenbruchteil, fort für immer.
»Warum gehst du weg?«
Da er nur den Kopf schüttelte, fragte sie weiter: »Willst du mir darum deinen Namen nicht sagen?«
»Nein, sondern weil er keine Rolle spielt. Es sind nur Silben. Dieser Mensch bin ich schon so viele Jahre nicht mehr gewesen. Deswegen ist er schlichtweg unwichtig.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.« Sie hakte nach. »Und du brauchst nicht wegzugehen.«
Allein schon, weil sie nicht glaubte, dass jemand in die Zukunft sehen konnte, und das bedeutete, wenn er ging, dann aus freien Stücken – und diese Entscheidung konnte auch jederzeit rückgängig gemacht werden. Von ihm.
Das Problem daran war nur, dass sie es ebenfalls spürte, das Gefühl, dass auf sie kein »Und wenn sie nicht gestorben sind« wartete. Sie waren sich aufgrund eines Unfalls begegnet, ihre Welten waren aufeinandergeprallt, und genau wie die Kollision nur kurz gedauert hatte, würde auch ihre Beziehung es tun.
Diese Wunde allerdings würde nie verheilen.
Sie hatte eine schreckliche Ahnung, dass sie niemals über diesen Mann hinwegkommen würde.
»Wie lange noch?«, wollte sie wissen.
»Ich weiß es nicht.«
Sie stieg vom Tisch und schlang die Arme um ihn, legte die Wange auf das unter seinen Rippen schlagende Herz. Er erwiderte die Umarmung, und sie fragte sich, warum sie ausgerechnet zu ihm so eine starke Verbindung empfand. Die anderen, die Normalos, waren nicht zu ihr durchgedrungen.
Aber dieser Mann …
Matthias zog den Kopf zurück und berührte sanft ihr Gesicht. »Darf ich dich hier küssen?«
»Meinst du hier auf die Wange oder hier im Konferenzraum?«
»Na ja, du arbeitest schließlich hier und …«
Sie presste ihre Lippen auf seine und brachte ihn dadurch zum Schweigen. Wen interessierte schon, wo sie sich befanden. Es gab mehr als genug Beziehungen unter Kollegen, und viele hatten auch schon Ehemänner und Ehefrauen und Partner mit ins Gebäude gebracht.
Außerdem, wenn ihr Chef sie sexuell belästigte, konnte sie ja wohl auch den Mann, den sie wirklich wollte, unter seinem
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