Die Begnadigung
Busbahnhof.«
Um einundzwanzig Uhr ging Luigi unruhig in seiner Wohnung auf und ab und wartete darauf, dass Marco nebenan erschien. Schließlich rief er Francesca Ferro an. Er sei nachmittags zum Unterricht erschienen, berichtete sie, es sei sogar eine ganz besonders erfreuliche Stunde gewesen. Wie schön, dachte er.
Marcos Verschwinden war natürlich Teil des Plans, aber Whitaker und Langley hatten angenommen, dass es noch ein paar Tage dauern würde. Hatten sie ihn bereits verloren? So schnell? Mittlerweile hielten sich fünf Agenten ganz in der Nähe auf: Luigi, Zellman, Krater und zwei, die aus Mailand hergeschickt worden waren.
Luigi hatte den Plan immer schon für fragwürdig gehalten. In einer Großstadt wie Bologna war es unmöglich, eine Person rund um die Uhr zu überwachen. Luigi hatte leidenschaftlich die Ansicht vertreten, dass der Plan nur in einem kleinen Dorf funktionieren konnte, wo Backmans Bewegungsfreiheit und Möglichkeiten eingeschränkt waren. Besucher mussten an einem solchen Ort viel mehr auffallen. Das war der ursprüngliche Plan gewesen, der aber in Washington überraschend geändert worden war.
Um 21.12 Uhr gab der Summer in der Küche ein leises Signal von sich. Luigi lief zu den Monitoren. Marco war also zurück. Seine Wohnungstür öffnete sich. Luigi starrte auf das digitale Bild, das die in der Decke des Wohnzimmers nebenan versteckte Kamera lieferte.
Zwei Fremde – nicht Marco. Zwei Männer in den Dreißigern in normaler Straßenkleidung. Sie schlossen die Tür schnell, leise, professionell hinter sich und fingen an, sich umzusehen. Einer von ihnen trug eine kleine schwarze Tasche bei sich.
Sie waren gut, sehr gut. Um das Schloss eines sicheren Hauses zu knacken, mussten sie gut sein.
Luigi lächelte aufgeregt. Mit ein wenig Glück würden seine Kameras Marcos Entführung aufzeichnen. Vielleicht würden sie ihn auch an Ort und Stelle im Wohnzimmer umbringen, und alles wäre dann auf Film gebannt. Möglicherweise funktionierte der Plan doch noch.
Er schaltete den Ton ein und stellte lauter. Die Sprache war in diesem Fall von größter Bedeutung, weil sie wissen mussten, woher die Männer kamen. Doch es war kein Geräusch zu vernehmen. Die beiden bewegten sich völlig lautlos. Ein- oder zweimal flüsterten sie etwas, aber das war kaum zu hören.
27
D as Taxi hielt an der Via Gramsci in der Nähe von Bus- und Schienenbahnhof. Marco bezahlte vom Rücksitz aus in bar, sprang zwischen zwei geparkte Autos und war bald in der Dunkelheit verschwunden. Seine Flucht aus Bologna war sehr kurz gewesen, aber sie war schließlich auch noch nicht zu Ende. Aus Gewohnheit schlug er Haken und ging parallel zu seinem Weg wieder zurück, wobei er nach eventuellen Verfolgern Ausschau hielt.
In der Via Don Giovanni Minzoni verschwand er eilig unter den Bogengängen und blieb dann vor Francescas Haus stehen. Den Luxus, seine Meinung zu ändern, konnte er sich nicht leisten. Für Zögern und Zweifel blieb ihm keine Zeit. Er klingelte zweimal, wobei er verzweifelt hoffte, dass Francesca und nicht Signora Altonelli antworten würde.
»Wer ist da?«, fragte ihre bezaubernde Stimme.
»Francesca, ich bin es, Marco Lazzeri. Ich brauche Hilfe.«
Eine kurze Pause. »Ja, natürlich«, sagte sie dann.
Sie empfing ihn an ihrer Tür im ersten Stock und bat ihn herein. Zu seiner Bestürzung war Signora Altonelli immer noch da. Mit einem Geschirrtuch in der Hand stand sie in der Küchentür und ließ ihn nicht aus den Augen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Francesca auf Italienisch.
»Englisch, bitte«, sagte er, wobei er ihre Mutter ansah und lächelte.
»Ja, natürlich.«
»Ich brauche einen Unterschlupf, wo ich heute übernachten kann. Ein Zimmer kann ich mir nicht nehmen, weil ich keinen Pass habe. Den verlangen sie sogar in den kleinen Hotels, und Schmiergeld nehmen die auch nicht.«
»So sind die Gesetze hier in Europa.«
»Ja, das habe ich mittlerweile gemerkt.«
Sie deutete auf das Sofa. Dann bat sie ihre Mutter, Kaffee zu kochen. Sie setzten sich. Ihm fiel auf, dass sie barfuss war und ohne Stock ging, obwohl sie den eigentlich noch brauchte. In den engen Jeans und dem weiten Pullover sah sie aus wie eine hübsche Schülerin.
»Warum verraten Sie mir nicht, was los ist?«, fragte sie.
»Es ist eine komplizierte Geschichte, und das meiste kann ich Ihnen nicht erzählen. Sagen wir, dass ich mich im Augenblick nicht sehr sicher fühle, dass ich Bologna unbedingt so schnell wie möglich
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