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Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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trank eine Cola dazu. Er sah zu, wie ältere Mailänder durch die Galleria bummelten, die Frauen Arm in Arm, während die Männer immer wieder stehen blieben, um ein Schwätzchen zu halten, als würde Zeit keine Rolle spielen. Beneidenswert, dachte er.
    Sollte er sofort aufbrechen oder sich lieber ein, zwei Tage versteckt halten? Eine neue, drängende Frage. In einer Großstadt mit vier Millionen Einwohnern konnte er beliebig lange untertauchen. Er würde sich einen Stadtplan besorgen, die Straßen auswendig lernen, sich abwechselnd in seinem Zimmer versteckt halten und durch die Gassen wandern.
    Das jedoch würde den Bluthunden auf seiner Fährte Zeit verschaffen, sich zu sammeln.
    War es nicht besser, wenn er sofort weiterreiste, solange sich seine Verfolger noch nicht von ihrer Überraschung erholt hatten?
    Doch, das war es, beschloss er. Er bezahlte und warf einen Blick auf seine Bowlingschuhe. So bequem sie auch waren, er hätte sie am liebsten verbrannt. Auf einem Stadtbus entdeckte er eine Werbung für ein Internetcafé in der Via Verri, das er zehn Minuten später betrat. Ein Schild an der Wand informierte über die Preise: zehn Euro pro Stunde bei einem Minimum von dreißig Minuten. Er bestellte einen Orangensaft und zahlte für eine halbe Stunde. Der Angestellte deutete mit dem Kopf auf einen Tisch, wo mehrere Computer standen. Drei von ihnen wurden von Leuten benutzt, die offensichtlich wussten, was sie taten. Marco dagegen hatte keine Ahnung.
    Aber er ließ sich nichts anmerken. Er setzte sich, griff nach der Tastatur und starrte auf den Monitor. Obwohl er am liebsten den Himmel um Hilfe angefleht hätte, arbeitete er sich Schritt für Schritt vor. Es war erstaunlich einfach. Er ging zur KwyteMail-Site, tippte seinen Benutzernamen, »Grinch456«, und seinen Passsatz, »post hoc ergo propter hoc«, ein. Nach zehn Sekunden fand er die erste Nachricht von Neal.
     
    Marco, Mikel van Thiessen ist immer noch bei der Rheinland-Bank und mittlerweile Leiter der Kundenbetreuung. Sonst noch etwas? Grinch
     
    Um genau 7.50 Uhr amerikanischer Ostküstenzeit tippte Marco folgende Nachricht:
     
    Grinch, hier Marco – live. Bist du da?
     
    Er nippte an seinem Saft und starrte auf den Bildschirm. Komm schon. Es musste einfach funktionieren. Noch ein Schluck Saft. Ihm gegenüber redete eine Frau auf ihren Monitor ein. Dann kam Neals Antwort.
     
    Bin da. Was ist los?
     
    Marco schrieb: Mir ist das Ankyo 850 gestohlen worden. Kann gut sein, dass die andere Seite es hat und das Ding zerlegt. Können sie irgendwie auf dich kommen?
    Neal: Nur wenn sie Benutzername und Passsatz kennen. Ist das der Fall?
    Marco: Nein, die habe ich vernichtet. Passwörter können sie nicht umgehen?
    Neal: Nicht bei KwyteMail. Das System ist absolut sicher und außerdem verschlüsselt. Mit dem Ankyo kommen sie nicht weit.
    Marco: Sind wir im Moment sicher?
    Neal: Hundertprozentig. Womit schreibst du jetzt?
    Marco: Ich bin in einem Internetcafé und hab einen Computer gemietet. Wie ein richtiger Computerfreak.
    Neal: Willst du ein neues Ankyo Smartphone?
    Marco: Im Moment nicht, vielleicht später. Pass auf: Du musst mit Carl Pratt reden. Ich weiß, dass du ihn nicht leiden kannst, aber ich brauche ihn. Pratt war mit Senator Ira Clayburn aus North Carolina befreundet. Clayburn war viele Jahre lang Vorsitzender des Geheimdienstausschusses des Senats. Ich brauche ihn. Nimm über Pratt Kontakt mit ihm auf.
    Neal: Wo ist Clayburn jetzt?
    Marco: Das weiß ich nicht. Ich hoffe, er lebt noch. Er stammt aus irgendeinem abgelegenen Ort auf den Outer Banks vor der Küste von North Carolina und hat sich ein Jahr, nachdem ich auf Staatskosten untergebracht worden bin, ins Privatleben zurückgezogen. Pratt kann ihn aufspüren.
    Neal: Ich kümmere mich darum, sobald ich mich davonschleichen kann.
    Marco: Bitte sei vorsichtig. Halt dir den Rücken frei.
    Neal: Geht es dir gut?
    Marco: Ich bin auf der Flucht. Heute Morgen hab ich Bologna verlassen. Ich werde versuchen, mich morgen um dieselbe Zeit zu melden, okay?
    Neal: Bleib in Deckung. Wir sprechen uns morgen.
     
    Mit einem selbstzufriedenen Lächeln loggte Marco sich aus. Mission erfüllt. Kein Problem. Willkommen im Hightech-Zeitalter. Er vergewisserte sich, dass alle KwyteMail-Fenster geschlossen waren, trank seinen Orangensaft aus und verließ das Café. Auf dem Weg zum Bahnhof tauschte er in einem Ledergeschäft Giovannis elegante Aktentasche gegen eine schwarze von deutlich schlechterer Qualität

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