Die Begnadigung
nach draußen und rief Luigi an. Er beschrieb den Mann, der offenbar keine Eile hatte, die Toilette zu verlassen.
»Das beste Versteck«, meinte Luigi.
»Ich weiß, aus eigener Erfahrung.«
»Glauben Sie, es ist Marco?«
»Keine Ahnung. Wenn ja, ist es eine hervorragende Tarnung.«
Luigi hatte das Smartphone, die vierhundert Dollar in bar und Marcos Verschwinden noch nicht verkraftet. Er wollte kein Risiko eingehen. »Folgen Sie ihm.«
Um 5.55 Uhr zog Marco die Jeans hoch, spülte, griff nach der Aktentasche und ging zum Bus. Auf dem Bussteig wartete Krater, der lässig mit einer Hand einen Apfel aß, während er in der anderen eine Zeitung hielt. Als Marco auf den Bus nach Parma zusteuerte, folgte Krater seinem Beispiel.
Ein Drittel der Sitze blieb leer. Marco ließ sich in einer der mittleren Reihen links am Fenster nieder. Krater wandte den Blick ab, als er an ihm vorbeiging. Dann setzte er sich vier Reihen hinter ihn.
Bis nach Modena, dem ersten Halt, waren es dreißig Minuten. Als sie in die Stadt hineinfuhren, beschloss Marco, die Gesichter hinter ihm zu überprüfen. Er stand auf und ging nach hinten zur Toilette. Unterwegs sah er sich beiläufig die männlichen Fahrgäste an.
Als er die Toilettentür verriegelte, schloss er die Augen.
»Ja, das Gesicht habe ich schon einmal gesehen«, sagte er sich.
Vor weniger als vierundzwanzig Stunden im Caffè Atene, nur wenige Minuten, bevor die Lichter erloschen. Und zwar in dem schmalen Spiegel, der entlang der Wand verlief. Das Gesicht war ganz in seiner Nähe gewesen, hinter ihm, mit einem zweiten Mann.
Es war ein vertrautes Gesicht. Vielleicht hatte er es sogar schon vorher irgendwo in Bologna gesehen.
Marco kehrte zu seinem Sitz zurück, als der Bus langsamer wurde und in den Busbahnhof einfuhr. Jetzt hieß es schnell denken, aber ruhig bleiben. Nur keine Panik.
Sie waren ihm aus Bologna gefolgt. Bevor er das Land verließ, musste er ihnen entwischen.
Als der Bus hielt, informierte der Fahrer über den Aufenthalt in Modena. Nur ein kurzer Zwischenstopp, in fünfzehn Minuten ging es weiter. Vier Fahrgäste zwängten sich durch den Gang und stiegen aus. Die anderen blieben sitzen, die meisten schliefen sowieso. Marco schloss die Augen und ließ den Kopf nach links gegen das Fenster sinken. Es sah aus, als wäre er eingeschlafen. Eine Minute verging. Zwei abgehetzte Bauern stiegen ein, die schwere Stofftaschen umklammerten.
Als der Fahrer zurückkam und hinter dem Lenkrad Platz nahm, glitt Marco plötzlich von seinem Sitz, lief durch den Gang und sprang in dem Moment aus dem Bus, als sich die Tür schloss. Mit schnellen Schritten verschwand er im Busbahnhof. Dann wandte er sich um und sah zu, wie der Bus zurücksetzte. Sein Verfolger war noch an Bord.
Krater wollte ihm zuerst nachlaufen, selbst wenn er sich deswegen mit dem Fahrer hätte anlegen müssen. Allerdings war es schwer vorstellbar, dass der versucht hätte, ihn zwangsweise im Bus zu behalten. Doch er beherrschte sich, denn Marco wusste offenbar, dass er verfolgt wurde. Sein Verschwinden in letzter Sekunde bestätigte Kraters Verdacht. Es handelte sich tatsächlich um Marco, und er lief um sein Leben.
Das Problem war, dass er sich nun in Modena frei bewegen konnte – im Gegensatz zu Krater. Der Bus bog in eine andere Straße und hielt an einer Ampel. Krater rannte zum Fahrer, wobei er die Hand auf den Magen presste und so tat, als müsste er sich übergeben, wenn er nicht sofort an die frische Luft käme. Die Tür flog auf, Krater sprang heraus und lief zurück zum Busbahnhof.
Marco verschwendete keine Zeit. Sobald der Bus außer Sicht war, rannte er zum Taxistand vor dem Busbahnhof, wo drei Autos warteten. Er sprang auf den Rücksitz des ersten.
»Können Sie mich nach Mailand fahren?«, fragte er in fehlerfreiem Italienisch.
» Milano? «
» Sì, Milano. «
» È molto caro! « Das ist sehr teuer.
» Quanto? «
» Duecento euro. «
» Andiamo. «
Nachdem er eine Stunde lang den Busbahnhof von Modena und die angrenzenden Straßen abgesucht hatte, rief Krater Luigi an. Die schlechte Nachricht war, dass er seinen Mann verloren hatte, die gute, dass es sich tatsächlich um Marco handelte. Das war nach der irrwitzigen Flucht in letzter Minute klar.
Luigis Gefühle waren gemischt. Es ärgerte ihn, dass Krater von einem Amateur ausgetrickst worden war, aber er war beeindruckt, dass es Marco gelungen war, sein Äußeres so wirkungsvoll zu verändern, dass er einer kleinen Armee
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