Die Begnadigung
ein und erstand in einem billigen Uhrengeschäft für achtzehn Euro eine große runde Uhr mit knallrotem Plastikarmband. Eine weitere Ablenkung für alle, die nach Marco Lazzeri, vormals Bologna, Ausschau hielten. Im Antiquariat erwarb er für zwei Euro eine abgewetzte Ausgabe der Gedichte von Czeslaw Mitosz, selbstverständlich auf Polnisch, um die Bluthunde zu verwirren. In einem Secondhandladen kaufte er schließlich eine Sonnenbrille und einen Spazierstock aus Holz, den er draußen auf dem Gehsteig sofort benutzte. Der Stock erinnerte ihn an Francesca. Außerdem verlangsamte er Marcos Schritt, veränderte seinen Gang. Überpünktlich schlurfte er in den Mailänder Hauptbahnhof und kaufte eine Fahrkarte nach Stuttgart.
Whitaker erhielt aus Langley die Eilmeldung, dass jemand in Luigis Unterschlupf eingebrochen war, aber er konnte nicht das Geringste dagegen unternehmen. Alle Agenten aus Bologna waren in Mailand unterwegs und suchten verzweifelt nach Backman. Zwei am Bahnhof, zwei am Flughafen Malpensa, gute vierzig Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, zwei am Flughafen Linate, der wesentlich näher lag und vor allem innereuropäische Flüge bediente. Luigi stand am zentralen Busbahnhof und diskutierte über sein Mobiltelefon immer noch die Frage, ob Marco überhaupt in Mailand war. Nur weil er den Bus von Bologna nach Modena genommen und nach Nordwesten unterwegs war, musste er noch lange nicht nach Mailand gefahren sein. Aber Whitaker, dessen Meinung Gewicht hatte, hielt im Augenblick nicht viel von Luigis Ansichten, deshalb war er zum Busbahnhof verbannt worden, wo er tausende Menschen kommen und gehen sah.
Krater war der Nadel im Heuhaufen am nächsten.
Für sechzig Euro hatte Marco eine Fahrkarte erster Klasse erstanden, um das Gedränge in der zweiten zu vermeiden. Der Erste-Klasse-Waggon befand sich ganz hinten. Marco stieg um 17.30 Uhr ein, fünfundvierzig Minuten vor der Abfahrt. Er machte es sich auf seinem Platz gemütlich, wobei er das Gesicht so weit wie möglich hinter der Sonnenbrille und dem hellbraunen Strohhut verbarg, öffnete den Band mit den polnischen Gedichten und fing an, den Bahnsteig zu beobachten, auf dem die Fahrgäste an seinem Zug vorbeigingen. Manche waren kaum anderthalb Meter von ihm entfernt, und alle hatten es eilig.
Bis auf einen. Der Kerl aus dem Bus war wieder da, das Gesicht aus dem Caffè Atene, wahrscheinlich der Gangster mit den langen Fingern, der seine Silvio-Tasche gestohlen hatte und in Modena einen Tick zu langsam gewesen war. Die Stirn in Falten gelegt, die Augen zu Schlitzen verengt, setzte er zwar einen Fuß vor den anderen, hatte aber offensichtlich kein Ziel. Für einen Profi viel zu auffällig, dachte Giovanni Ferro, der leider mittlerweile mehr darüber wusste, wie man sich tarnte, versteckte und seine Spuren verwischte, als er je hatte wissen wollen.
Krater war informiert worden, dass Marco wahrscheinlich entweder nach Rom fahren würde, von wo aus sich ihm mehrere Alternativen böten, oder in die Schweiz, nach Deutschland oder Frankreich. Praktisch der gesamte Kontinent stand ihm offen. Seit fünf Stunden wanderte Krater über die Bahnsteige, sah Züge kommen und gehen, mischte sich unter die Menge. Wer ausstieg, interessierte ihn nicht, seine gesamte Aufmerksamkeit galt den Einsteigenden. Verzweifelt musterte er jede auch nur annähernd blaue Jacke, egal wie sie geschnitten war. Die mit dem abgetragenen Besatz an den Ellbogen war ihm bis jetzt noch nicht untergekommen.
Das lag daran, dass sie in der billigen schwarzen Aktentasche steckte, die sich Marco auf Sitz Nummer siebzig des Erste-Klasse-Waggons nach Stuttgart zwischen die Füße geklemmt hatte. Marco beobachtete, wie Krater über den Bahnsteig wanderte und den Zug nach Stuttgart genau studierte. Es sah aus, als hielte er eine Fahrkarte in der Hand. Dann war er verschwunden, und Marco hätte schwören können, dass er in den Zug eingestiegen war.
Am liebsten wäre er selbst wieder herausgesprungen, aber er beherrschte sich.
In diesem Moment öffnete sich die Tür zu seinem Abteil, und Madame betrat die Bildfläche.
30
S obald feststand, dass Backman untergetaucht und nicht von irgendjemand ausgeschaltet worden war, begann eine hektische Suche. Es dauerte fünf Stunden, bis Julia Javier die Informationen gefunden hatte, die eigentlich sofort hätten griffbereit sein müssen, und zwar in einer Akte, die im Büro des CIA-Direktors eingesperrt und einst von Teddy Maynard selbst gehütet worden
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