Die Begnadigung
aus.
Whitaker lächelte grundsätzlich nicht, und so tauschten sie nur ein knappes Hallo und einen Händedruck, bevor sie zu Luigis Fiat gingen. »Wie geht’s unserem Mann?«, fragte Whitaker, nachdem er die Autotür zugeschlagen hatte.
»Prima«, erwiderte Luigi. Er ließ den Motor an und fuhr los. »Er lernt fleißig. Hat ja auch sonst nicht viel zu tun.«
»Bleibt er in der Nähe?«
»Ja. Er spaziert gern in der Stadt herum, aber nicht zu weit, da fürchtet er sich. Außerdem hat er kein Geld.«
»Sorgen Sie dafür, dass das so bleibt. Wie ist sein Italienisch?«
»Er lernt schnell.« Sie befanden sich in der Via dell’-Indipendenza, einem breiten Boulevard, der ins Stadtzentrum führte. »Er ist sehr motiviert.«
»Hat er Angst?«
»Ich glaube schon.«
»Er ist klug, und er ist ein Manipulator, Luigi, vergessen Sie das nicht. Er hat Angst, weil er klug ist. Er kennt die Gefahr.«
»Ich habe ihm von Critz erzählt.«
»Und?«
»Er war ziemlich durcheinander.«
»Hat es ihn hellhörig gemacht?«
»Ja, ich denke schon. Wer war das mit Critz?«
»Ich nehme an, wir, aber man weiß nie. Ist das sichere Haus fertig?«
»Ja.«
»Gut. Sehen wir’s uns an.«
Die Via Fondazza war eine ruhige Wohnstraße im Südosten der Altstadt, nur ein paar Straßen südlich der Universität. Wie überall sonst in Bologna waren auch hier die Gehsteige mit Arkaden überdacht. An den meisten Häusern waren neben der Sprechanlage Bronzeschilder angebracht, an der Nummer 112 nicht. Das Haus war namenlos, und das schon seit drei Jahren. Damals hatte es ein geheimnisvoller Geschäftsmann aus Mailand gemietet, der zwar regelmäßig zahlte, es aber selten nutzte. Whitaker war vor über einem Jahr zuletzt hier gewesen. Nicht dass es eine Attraktion gewesen wäre. Die Wohnung war rund sechzig Quadratmeter groß, bestand aus vier zweckmäßig möblierten Räumen und kostete zwölfhundert Euro im Monat. Es war ein sicheres Haus, nicht mehr und nicht weniger – eines von drei in Norditalien, die unter seiner Aufsicht standen.
Es gab zwei Schlafzimmer, eine winzige Küche und ein Wohnzimmer mit Sofa, Tisch und zwei Ledersesseln, aber ohne Fernseher. Luigi deutete auf das Telefon, und sie sprachen in einer praktisch unverständlichen Fachsprache über das Abhörsystem, das in den Apparat eingebaut war. In jedem Raum befanden sich zwei empfindliche Mikrofone, die auch das geringste menschliche Geräusch aufnahmen. Außerdem gab es zwei mikroskopische Überwachungskameras. Eine war im Spalt einer gebrochenen antiken Kachel an der Wohnzimmerdecke versteckt und bot einen Blick auf die Vordertür, die andere steckte im billigen Schirm der Küchenlampe und war auf die Hintertür gerichtet.
Das Schlafzimmer sollte nicht überwacht werden, und Luigi gestand, dass er darüber erleichtert war. Wenn Marco eine Frau mit nach Hause brachte, würde man sie über die Kamera im Wohnzimmer sehen, und das genügte Luigi. Falls er anfing, sich zu langweilen, konnte er immer noch eine Schaltung legen und sich einen Spaß daraus machen, zuzuhören.
Das Gebäude grenzte im Süden an ein Haus, von dem es eine dicke Steinmauer trennte. Hier, in einer Wohnung, die etwas größer war als die von Marco, würde sich Luigi aufhalten. Der Hinterausgang führte in einen kleinen Garten, der vom Nachbarhaus aus nicht einsehbar war. Die Küche war in eine Hightech-Überwachungszentrale umgebaut worden. Luigi konnte jederzeit die Kameras einschalten und sehen, was sich nebenan abspielte.
»Wird hier auch der Unterricht stattfinden?«, erkundigte sich Whitaker.
»Ja. Ich denke, es ist sicher genug. Außerdem kann ich sie dann dabei überwachen.«
Whitaker ging noch einmal durch alle Räume. »Und nebenan ist auch alles vorbereitet?«
»Alles. Ich habe die letzten beiden Nächte hier verbracht. Wir sind fertig.«
»Wann kann er einziehen?«
»Heute Nachmittag.«
»Sehr gut. Jetzt sehen wir uns den Knaben mal an.«
Sie folgten der Via Fondazza nach Norden, bis sie endete, und bogen dann auf einen breiteren Boulevard ein, die Strada Maggiore. Treffpunkt war ein kleines Café namens Lestre’s. Luigi nahm eine Zeitung und setzte sich allein an einen Tisch, Whitaker tat dasselbe. Dabei ignorierten sie sich, als hätten sie einander noch nie gesehen. Pünktlich um 16.30 Uhr tauchten Ermanno und sein Schüler auf, um mit Luigi rasch einen Espresso zu trinken.
Nachdem sie sich begrüßt und die Mäntel ausgezogen hatten, fragte Luigi: »Haben Sie genug vom
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