Die Begnadigung
hatte bald aufgehört, vom großen Geld und einem aufwendigen Lebensstil zu träumen. Er war damit zufrieden, in einer kleinen Kanzlei in Culpeper als Anwalt zu praktizieren und – wenn alles gut ging – fünfzigtausend Dollar im Jahr heimzubringen. Lisa hatte aufgehört zu arbeiten, als ihre Tochter geboren wurde. Sie kümmerte sich um die Familienfinanzen und sorgte dafür, dass ihr Lebenswandel im Rahmen des Budgets blieb.
Nach einer schlaflosen Nacht wusste Neal in etwa, wie er vorgehen würde. Am schwierigsten war die Entscheidung gewesen, ob er es seiner Frau erzählen sollte oder nicht. Nachdem er beschlossen hatte, ihr nichts zu sagen, nahm der Plan Gestalt an. Um acht Uhr ging er wie jeden Morgen in die Kanzlei und verbrachte eineinhalb Stunden im Internet, bis er sicher sein konnte, dass die Bank geöffnet war. Als er die Hauptstraße hinunterging, konnte er sich kaum vorstellen, dass vielleicht jeder seiner Schritte beobachtet wurde. Trotzdem würde er kein Risiko eingehen.
Richard Koley leitete die nächstgelegene Filiale der Piedmont National Bank. Sie gingen zusammen in die Kirche und auf die Moorhuhnjagd, spielten regelmäßig Softball für den Rotary Club. Neals Kanzlei erledigte ihre Bankgeschäfte schon seit Ewigkeiten bei der Piedmont National. Die Schalterhalle war zu dieser frühen Stunde noch leer, aber Richard saß bereits mit einem großen Becher Kaffee und dem Wall Street Journal an seinem Schreibtisch und hatte offenbar nicht viel zu tun. Er war angenehm überrascht, Neal zu sehen, und sie unterhielten sich zwanzig Minuten lang über die Basketballmannschaft des örtlichen College. Als sie schließlich zum Geschäftlichen kamen, fragte Richard: »Was kann ich für dich tun?«
»Mich würde interessieren, wie viel Geld ich mit meiner Unterschrift leihen könnte«, erwiderte Neal wie beiläufig. Er hatte die Sätze den ganzen Morgen über geübt.
»Nur so aus Neugier.«
»Knapp bei Kasse, was?« Richard griff nach der Maus und starrte auf den Bildschirm, in dem alle Antworten gespeichert waren.
»Nein, nein, nichts dergleichen. Aber die Zinsen sind zurzeit so niedrig, und ich habe ein paar vielversprechende Aktien im Auge.«
»Gar keine schlechte Strategie, obwohl ich das natürlich nicht laut sagen darf. Jetzt, wo der Dow wieder auf zehntausend ist, wundert es mich sowieso, warum nicht alle einen Kredit aufnehmen und Aktien kaufen. Der Bank würde es mit Sicherheit gut tun.« Er lachte kurz in sich hinein, als er sich über seinen Witz amüsierte. »Einkommensbereich?«, fragte er dann wieder mit ernstem Filialleitergesicht, während sich seine Finger über die Tastatur bewegten.
»Das variiert«, sagte Neal. »Sechzig bis achtzig.«
Richard runzelte die Stirn, und Neal wusste nicht, ob er schockiert war, weil sein Freund so wenig oder erheblich mehr als er verdiente. Er würde es wohl nie erfahren. Allerdings waren Banken in kleinen Städten nicht gerade dafür bekannt, dass sie ihren Angestellten zu viel bezahlten.
»Schulden, mit Ausnahme der Hypothek?«, fragte Richard, während er wieder etwas eingab.
»Moment.« Neal schloss die Augen und ging die Zahlen noch einmal durch. Die Hypothek auf das Haus betrug fast zweihunderttausend Dollar und lief natürlich über die Piedmont. Lisa hatte eine solche Aversion gegen Schulden, dass ihre Konten nur selten im Minus waren.
»Etwa eintausend auf den Kreditkarten. Eigentlich nicht viel.«
Richard nickte, starrte aber unverwandt auf den Bildschirm. Schließlich hörte er auf zu tippen und setzte das Gesicht eines großzügigen Filialleiters auf. »Ich könnte dir dreitausend geben. Sechs Prozent Zinsen, für zwölf Monate.«
Da Neal noch nie einen Kredit ohne Sicherheit aufgenommen hatte, wusste er nicht, wie viel er erwarten konnte. Er hatte keine Ahnung, was seine Unterschrift wert war. Aber dreitausend Dollar klangen nicht schlecht.
»Könnten wir viertausend daraus machen?«, fragte er.
Noch ein Stirnrunzeln, noch ein langer Blick auf den Bildschirm, dann hatte Richard die Antwort darin gefunden. »Sicher, warum nicht? Schließlich weiß ich ja, wo ich dich finde.«
»Gut. Und wegen der Aktien halte ich dich auf dem Laufenden.«
»Das will ich hoffen.«
Als Richard eine Schublade aufzog und darin nach Formularen kramte, sagte Neal: »Richard, da wäre noch etwas. Könnten wir das für uns behalten? Du weißt schon, was ich meine. Lisa soll den Kreditantrag nicht unterschreiben.«
»Kein Problem«, erwiderte Richard, der
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