Die Begnadigung
Wissen über das Wesen der Krankheit ständig wächst, stirbt jedes Jahr eine größere An zahl von Amerikanern als je zuvor den Krebstod.
(Prof. D. Wood und Michael Shimkin,
kalifornische Krebsspezialisten in San Franzisko)
Der Wein war gut, die Zigarre hervorragend, der Mokka das heißeste und schwärzeste, was der Orient bringen konnte. Nun saß man am offenen Kamin, das Buchenholzfeuer knackte und zuckte über die Gesichter und warf verwirrende Reflexe in den Rotwein.
Oberstaatsanwalt Dr. Barthels hatte sich zurückgelehnt. »Sie müssen sich deutlicher ausdrücken, Professor«, sagte er. »Liegt hier ein Vergehen gegen das Gesetz vor? Eine kriminelle Tat?«
Runkel hatte beide Hände um sein Glas gelegt. »Kriminell – das möchte ich nicht sagen. Gegen das Gesetz? Man könnte sagen: Ja! Gegen das Gesetz der medizinischen Wissenschaft.«
»Das interessiert uns Juristen nicht.«
»Aber wer gegen dieses Gesetz verstößt, der verstößt doch zugleich auch gegen die Ethik, gegen die Religion …! Wer medizinische Grundregeln mißachtet, ist eine Gefahr für die Allgemeinheit. Hier muß doch das Gesetz eine Handhabe haben …«
»Ich sehe immer noch nicht klar.« Oberstaatsanwalt Dr. Barthels, Studienkollege Runkels, trank einen kleinen Schluck. »Liegt eine fahrlässige Tötung vor?«
»Noch nicht!«
»Was heißt: Noch nicht?« Barthels sah Runkel ehrlich betroffen an. »Wissen Sie einen Fall, der in fahrlässige Tötung ausartet? Das müssen Sie uns melden!«
Runkel wiegte den Kopf. Er gab sich nicht der Illusion hin, einen Trumpf in der Hand zu haben. Erst mußte Marianne Pechl gestorben sein. Im jetzigen Zustand war nichts, gar nichts zu machen.
»Ich kenne einen Fall, wo eine Patientin falsch behandelt wird.«
»Ist das nachweisbar?«
»Nicht direkt …«
»Und die Patientin könnte geheilt werden, wenn man sie anders behandelte?«
»Nein. Sie ist unheilbar.«
»Das verstehe ich nicht.« Oberstaatsanwalt Dr. Barthels hob bedauernd die Schultern. »Wird falsch behandelt, aber ist unheilbar! Dann ist es doch gleich, wie sie behandelt wird. Wenn alles versagt …«
»Vor einem halben Jahr war sie heilbar. Aber man hat verhindert, daß sie operiert wurde! Jetzt ist es zu spät.«
Dr. Barthels zog die Augenbrauen zusammen. »Können Sie das beweisen? Das mit der unterlassenen Operation?«
»Ich nicht! Ich weiß es, aber ich kann es nicht beweisen! Ich habe ja keine Verhörbefugnis! Das wäre Sache der Polizei … der Staatsanwaltschaft …«
»Ihr Ärzte! Als wenn man euch etwas nachweisen könnte! Ihr bringt hundert Gutachten an, ihr haltet euch tausend Hintertüren offen. Eine Anklage gegen einen Arzt ist immer eine faule Sache für einen Juristen …«
»Ich könnte Ihnen die besten Gutachten bringen. Professor Bongratzius, Professor Lücknath, Professor Vollmer …« Professor Runkel schob mit der Fußspitze ein neues Buchenscheit in die glimmende Glut des offenen Kamins. »Es geht hier um Grundsätzlichkeiten! Es könnte ein Musterprozeß werden! Eine Reinigung der Medizin von versponnenen Elementen, von Geschäftemachern, von Wunderheilern!«
»Ich werde es mir überlegen. Um wen handelt es sich denn? Vielleicht kann man erst einmal in der Stille ermitteln?«
»Es ist Dr. Hansen.«
Oberstaatsanwalt Dr. Barthels ließ das Glas, das er gerade zum Mund führen wollte, sinken und stellte es auf den Tisch zurück.
»Die Krebs-Klinik bei Plön?«
»Sie kennen sie?«
»Meine Frau sprach davon. Meine Schwägerin, die Frau meines Bruders, Direktor bei Förschmann, ist krebskrank. Meine Frau spielte schon immer mit dem Gedanken, Elfriede – meine Schwägerin – in die ›See-Klinik‹ zu bringen.«
Runkel hielt fast den Atem an. »Wie sich das trifft«, sagte er leise. »Was wollen Sie nun unternehmen, Herr Oberstaatsanwalt?«
»Ich werde mit meinem Bruder sprechen. Vielleicht lassen wir Elfriede bei Dr. Hansen einweisen … Dann haben wir ja am besten einen Überblick über Klinik und Behandlungsmethode.«
Runkel nickte nachdenklich. Merkwürdig, daß der Vorschlag des Oberstaatsanwalts gemischte Gefühle in ihm auslöste.
»Wenn ich fragen darf … wie ist die Erkrankung Ihrer Frau Schwägerin?«
»Beiderseitiger Brustkrebs«, sagte er leise. »Inoperabel. Elfriede weiß es … sie trägt es tapfer. Ich bewundere ihre Ruhe …«
Runkel lehnte sich in seinen Kaminsessel zurück. »Bringen Sie sie zu Dr. Hansen. Sie werden sehen: Er verspricht ihr Heilung!«
»Das wäre offener
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