Die Begnadigung
Betrug!« fuhr Barthels auf. »Da ist nichts mehr zu heilen!«
»Und wenn er es sagt?«
»Dann verhafte ich ihn und schließe diese Schwindelklinik!«
»Ihr Juristen habt es gut!« Runkel trank genießerisch seinen Rotwein aus. »Bei euch ist alles so unkompliziert. Dann verhafte ich ihn, sagt ihr. Und das Problem ist gelöst …«
Bis das Feuer erlosch, saß Runkel später allein vor dem Kamin und sah in die Asche. Er kam sich gar nicht als Sieger in der ersten Schlacht vor …
»Jens?«
»Ja. Wer ist denn da?«
»Herta …«
»Herta?« Schweigen. Dann: »Von wo rufst du an? Was hast du mir denn noch zu sagen?«
»Bitte, keine Bitterkeit, Jens. Ich hänge auch gleich wieder ein. Ich wollte dich nur warnen … dich, den Arzt.«
»Warnen? Vor deinem Mann?«
»Vor Runkel. Dr. Wüllner ist jetzt bei ihm.«
»Ich weiß es.«
»Sie wollen massiv gegen dich vorgehen.«
»Das erwarte ich.«
»Ein Freund Runkels, Oberstaatsanwalt Barthels, will seine Schwägerin zu dir bringen. Als Kranke soll sie bei dir für ihn Material sammeln …«
Schweigen. Langes Schweigen. Dann: »Sie scheuen vor nichts zurück. Ich danke dir, Herta.«
»Wenn ich dir damit helfen konnte, Jens …«
»Warum tust du es überhaupt, Herta?«
»Ich …« Schweigen.
Dann knackte es in der Leitung.
Dr. Hansen legte nachdenklich auf.
Drei Tage später wurde Frau Elfriede Barthels in die ›See-Klinik‹ eingeliefert.
Sie hatte den üblichen Weg eingeschlagen. Der Hausarzt übersandte auf ihr Bitten die Krankengeschichte, die Röntgenplatten, die Berichte der Kliniken. Es war eine trostlose Akte.
Beiderseitiger Brustkrebs. Sechs Monate nach der Operation Bildung von Rezidiven an den Schnitträndern, Metastasen im Rückenmark, in der Thoraxwand, im Beckenknochen. Völlig aussichtslos.
Dr. Hansen hatte die Berichte und Röntgenplatten mit seinem Ärztestab durchgesprochen. Die Ansicht war einstimmig: Überlebenszeit noch drei bis vier Monate.
»Was soll sie hier?« fragte Dr. Reitmayer. »Wollen Sie sie wirklich aufnehmen, Chef?«
»Ja!«
»Ja? Ich verstehe Sie nicht mehr …« Dr. Adenbergs Finger glitt über die dunklen Punkte der Rückgratmetastasen. »Das ist doch der aussichtsloseste Fall, der bisher bei uns gemeldet wurde.«
»Solange ein Mensch noch lebt, haben wir immer eine Chance. Ich nehme Frau Barthels auf. Dr. Summring, veranlassen Sie die Einweisung. So schnell wie möglich …«
Am nächsten Tag schon fuhr Elfriede Barthels vor. Direktor Barthels brachte sie selbst. Der Hausarzt begleitete sie. Auf ihn und einen Pfleger gestützt, humpelte sie halb gelähmt in das Haus und in ihr kleines, sonniges, mit Blumen geschmücktes Zimmer. Ihre Zimmerschwester, die Hansen nur für sie abkommandiert hatte, zog sie aus und legte sie ins Bett. Mit großen Augen lag Elfriede Barthels dann auf dem Balkon, blickte über den See und hörte vom Speisesaal das Üben des Klinik-Orchesters. Es spielte Strauß-Walzer.
Wie unwirklich das alles ist, dachte sie.
Unterdessen unterhielt sich Direktor Barthels im Chefzimmer mit Dr. Hansen. Er war von seinem Bruder eingeweiht. Der Verdacht des Betruges lag über diesem Arzt. Direktor Barthels musterte Hansen scharf. Sieht so ein Scharlatan aus? Wenn er die Leute betrügen will, könnte er es einfacher haben, ohne Tag- und Nacht-Arbeit. Ohne achtzig Mann Personal, ohne eine Klinik, die das Modernste ist, was es heute in dieser Art gibt. Er könnte sich die Hunderttausende in die eigene Tasche stecken, statt das ganze Geld in seiner Klinik anzulegen …
»Sie haben die Krankengeschichte meiner Frau gelesen«, sagte Direktor Barthels. Er war bereit, jetzt die Frage zu stellen, die sein Bruder ihm zugespielt hatte. Die Frage, an der man Dr. Hansen aufhängen wollte. »Können Sie meine Frau heilen?«
Dr. Hansen legte die Hände aneinander. Er hatte darauf gewartet. Es kam alles, wie er es sich vorgestellt hatte.
»Nein!« sagte er laut.
»Nein?« Direktor Barthels atmete auf. Wie gut für Hansen, daß er nein sagte … »Aber warum nehmen Sie meine Frau denn auf? Sechzig Mark pro Tag, schrieben Sie. Das ist eine Menge Geld, nur um auf den Tod zu warten.«
»Es stimmt. Zu Hause hätte es Ihre Gattin billiger. Dort liegt sie und weiß, daß sie sterben wird! Hier liegt sie für sechzig Mark am Tag und glaubt, daß sie vielleicht nicht sterben wird.«
»Ein teurer Glaube, Herr Doktor. Und er versetzt nicht einmal Berge.«
»Aber vielleicht verlängert er das Leben …«
»Das versprechen
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