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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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besonderen Grund, daß du …« Karin lief in die Küche und stellte den Wasserhahn ab. Es war, als habe sie damit den Schock abgeschüttelt.
    »Ich wollte wissen, wie es dir geht …«
    »Gut, wie du siehst …«
    »Ich habe zwischendurch oft bei deinem Schwager angerufen. Er gab mir immer eine dumme Auskunft.«
    »Davon weiß ich nichts.«
    »Hat er dir nie erzählt, daß ich angerufen habe?«
    »Nein … Ich habe ihm damals gesagt, daß ich nichts mehr von dem, was hinter mir liegt, wissen will. Ich wollte alles zurücklassen.«
    »Kann man das, Karin? Nach allem, was wir zusammen erlebt haben?«
    »Man kann es, Jens!« Sie standen in der Tür zwischen Diele und Küche. Von Hansens Mantel troff das Regenwasser auf die Dielenplatten. Ob sie sagen wird: Zieh doch den Mantel aus? Er wartete darauf … Es würde soviel heißen wie: Nun bist du zu Hause! Geh ins Zimmer, nimm Besitz, laß uns eine Brücke suchen, über die wir wieder zueinander finden können.
    Karin sah ihn an. Alt ist er geworden, dachte sie erschrocken. Müde in den Augen, Falten um den Mund, noch schmaler die Lippen. Er hat Sorgen … Wie glücklich waren wir, als wir hier noch unsere kleine Praxis hatten …
    »Du bist ganz naß«, sagte Karin. »Komm, zieh den Mantel aus …«
    Hansen lächelte schwach. »Danke«, sagte er leise. »Danke, Karin …«
    Es war wie ein Aufatmen. Sie verstand ihn nicht. Sie hängte seinen Mantel über einen Bügel an die Garderobe.
    Hansen ging zur Wohnungstür. Aber bevor er sie öffnete, blieb er stehen und blickte sich zu Karin um.
    »Darf ich?«
    »Warum fragst du?« Es klang gequält. Daß er sich benahm wie ein schüchterner Junge, war ihr so furchtbar, daß sie ihm am liebsten um den Hals gefallen wäre.
    Hansen setzte sich in seinen alten Sessel, in dem er immer gesessen hatte, wenn er von seinen Praxisbesuchen heimgekehrt war, die Zeitung gelesen oder Karins Geplauder zugehört hatte.
    »Soll ich dir einen Tee machen, Jens?«
    Hansen nickte. »Bitte, Karin …«
    Als Karin in die Küche gegangen war, trat er ans Fenster und sah hinaus in den Garten. Die Läden des anderen Hauses, seiner ersten ›Vier-Betten-Klinik‹, die jetzt Pension war, waren geschlossen. Im Spätherbst kamen keine Gäste mehr in die Heide.
    »Du hast Sorgen?« fragte Karin später, als er zwei Tassen Tee mit Rum getrunken hatte.
    »Sorgen? Nein …«
    »Warum kommst du denn zu mir und belügst mich?« fragte sie sanft.
    »Ich habe die Klinik voll belegt, und …«
    »Dein Oberarzt ist ausgetreten und hat dich verraten, nicht wahr?«
    »Du weißt es?«
    »Es stand schließlich in allen Zeitungen. Und wie sie über dich hergefallen sind, Jens … Es war schrecklich …«
    »Sie werden einmal widerrufen müssen. Und wenn es noch ein paar Jahre dauert …«
    »Wo du nur deinen Mut hernimmst, Jens …«
    Unwillkürlich legte sie die Hand auf seine Sessellehne. Es war ganz still im Raum. Der Regen draußen hatte aufgehört, Nebel stiegen in dichten Schwaden über die Heide und die Birkenwälder.
    Ganz leicht legte Hansen sein Gesicht auf Karins Hand. Ihre Finger waren kalt, wie abgestorben. Als sie seine Berührung spürte, zuckte sie zusammen und wollte die Hand zurückziehen. Aber er kam Karin zuvor und hielt sie fest. »Bitte laß es so«, sagte er flüsternd.
    »Warum bist du gekommen?« fragte sie.
    »Ich suchte einen Menschen, der mich versteht …« Hansen schloß die Augen. »Wenn du wüßtest, wie einsam ich bin …«
    »Und … diese Frau Färber …«
    »Sie ist weg …«
    »Weg?«
    »Zurück zu ihrem Mann …«
    Karin zog die Hand unter seinem Gesicht weg und räumte das Teegeschirr zusammen.
    »Du … du freust dich gar nicht, daß ich gekommen bin …?« sagte er leise.
    »Nein …«
    »Warum lügst du jetzt?«
    »Ich lüge nicht, Jens. Ich bin über vieles hinweggekommen, und es war schwer, sehr schwer. Aber eines ist geblieben, in diesen zwei Jahren, und es wird immer bleiben und es wird immer stärker werden und zwischen uns stehen … das Kind, das nicht leben durfte …«
    »Karin!« Hansen sprang auf. »Du kannst mir den Tod des Kindes nicht als Schuld anrechnen.«
    »Ich habe es getan, und ich habe ein Recht dazu! Niemand und nichts war dir wichtiger als deine Klinik. Wir könnten über alles reden, wir könnten alles vergessen, wir könnten sagen: Beginnen wir von vorn! Aber das Kind, Jens, das Kind ist nicht zu vergessen. Du hast das Unschuldigste, was aus Gottes Hand kommt, geopfert für deine Idee. Wer kann dir das je

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