Die Begnadigung
Patient.«
Hansen gab ihr Feuer. Die kleine Flamme des Streichholzes reflektierte in ihren Augen.
»Auch kein ungebetener Gast?«
»Weiß Ihr Mann, daß Sie hier sind?«
Herta Färber nickte.
»Sie sind ehrlich. Er schickt Sie?«
»Nein. Der Plan, nach Plön zu fahren, stammt von mir. Hubert sah nur die Möglichkeit, damit auch das für ihn Nützliche zu verbinden. Deshalb seine Großzügigkeit, die Sie eben lobten.«
»Ich zeige Ihnen gern die Klinik.« Hansen richtete sich auf. Hertas Parfüm verwirrte ihn. »Professor Runkel wird schlaflose Nächte haben, wenn Sie berichten …«
»Das ist nicht so wichtig.« Herta Färber sah sich um. »Ist Ihre Frau noch auf?«
Jens Hansen schüttelte stumm den Kopf.
»Schade. Ich hätte gern mit ihr geplaudert.« Hertas Augen ließen ihn nicht mehr los. »Die Ärmste. Dieses Unglück mit dem Kind …«
»Lassen Sie die albernen Reden, bitte!« unterbrach sie Hansen brüsker, als er wollte.
Herta Färber schluckte die Zurechtweisung. Hier war ein Mann, der nicht vor ihr kapitulierte. Ein Mann, der nicht zerfloß, sondern zurückschlug. Hart und mit beiden Fäusten.
Ihre Stimme klang fast zärtlich, als sie sagte: »Ihre Frau wird es übelnehmen, wenn wir sie nicht …«
»Meine Frau ist in Hamburg.« Hansens Gesicht war kantig. Er stand mit dem Rücken zu ihr. Aber etwas, was er sich nicht erklären konnte, zwang Hansen, sich zu Herta Färber umzudrehen.
»Sie Einsamer«, sagte sie. Er hielt ihren Blick aus und spürte wieder den Duft ihres Parfüms. Das Wort hatte ihn getroffen.
Es riß eine Barriere nieder, es sprengte seine Abwehr.
»Wir werden uns scheiden lassen.«
»Hat sie Sie …«
»Nein!« Das Wort klang lauter, als ihm bewußt war. »Ich habe sie mit der Klinik betrogen.«
Einen Augenblick lang schien es, als sei Hansen allein im Zimmer. Wenn nicht der Duft ihres Parfüms gewesen wäre – und dann ihre Stimme:
»Und jetzt halten Sie sich für einen Märtyrer?«
Er sah sie an. Ihre Hand deutete auf den Platz neben sich auf der Couch. Und diese Bewegung war so selbstverständlich, als säße sie in ihrem Haus und er wäre ihr Gast.
Er setzte sich neben sie. »Sie haben vergessen, Ihren Tee zu trinken.«
»Den Malventee mit Vitamin C.«
Kein Spott lag in ihrer Stimme. Sie lehnte sich weit zurück, ihr Kopf lag auf der Rückenlehne der Couch, ein heller Fleck, der Hansen anzog. Leicht geöffnete Lippen, die fragten: »Gibt es eigentlich kein Vitamin H? H wie Herz?«
Noch bevor Jens Hansen wußte, ob das zynisch oder scherzhaft gemeint war, lag ihr schmales Gesicht neben seinem. Ihre Augen, groß und verheißungsvoll und gar nicht kühl. Und Jens Hansen wußte plötzlich wieder, wonach er sich vorhin gesehnt hatte, wonach er sich jetzt sehnte. Und die Sehnsucht machte ihn so blind.
Dr. Marianne Pechl war noch auf. Sie saß in ihrem Zimmer. Einem Raum, den zuvor noch nie jemand bewohnt hatte. Vor einem neuen kleinen Schreibtisch – vor einer Zukunft, die so blank war, wie die leere Seite ihres Tagebuches vor ihr.
»Doktor Hansen«, schrieb sie, »ist ein seltsamer Mensch. Noch wird keiner klug aus ihm. Noch sind seine Gedanken, auch wenn sie überzeugend klingen, nicht unser Eigentum. Wahrscheinlich können sie das auch nicht. Sie sind so neu, so ganz anders, daß wir uns selbst nicht wie Ärzte, sondern eher wie Patienten vorkommen.
Dr. Friedrich Wüllner, der heute mit mir gemeinsam in der Klinik angefangen hat, scheint der netteste unter den Kollegen zu sein. Kommt aus der Ostzone, war dort vier Jahre in einer großen Klinik, die sich auch mit Krebsforschung befaßte, und es muß wohl Schwierigkeiten gegeben haben, über die er nicht gern spricht. Jedenfalls ist er jetzt in der Seeklinik.
Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit. Er ist klug und bestimmt ein großartiger Mensch.
Bei Dr. Hansen ist noch Besuch. Ein Sportwagen parkt vor der Klinik. Wann schläft dieser Mann eigentlich? Der Hausmeister sagte, daß während der letzten Nächte immer Licht in seinem Zimmer gebrannt hat.
Ich gebe zu, daß ich ein wenig Angst habe, wenn ich an übermorgen denke. Die ersten Patienten treffen dann ein. Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt und liebe das Leben – und ich muß von übermorgen an unter Hoffnungslosen leben …
Und trotzdem bin ich gern hier …«
Dr. Marianne Pechl wollte ihre Tagebuch schon zuklappen, als sie noch einen Nachsatz schrieb:
»Er hat unwahrscheinlich blaue Augen – dieser Wüllner.«
Neununddreißig Betten wurden
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