Die Begnadigung
belegt.
In den Labors wurden die Dunkelfeldaufnahmen gemacht, die Grade der fehlerhaften Blutzusammensetzungen festgestellt. Vier Mandelausschälungen waren gemacht worden, und auf der Zahnstation herrschte Hochbetrieb. Wie bei vielen Krebskranken zeigten auch Hansens erste Patienten schwere Zahnschäden.
Die ersten therapeutischen Maßnahmen liefen an. Und für die neuen Ärzte begann die Umstellung. Was sie bisher als hoffnungslos betrachtet hatten, sollte in ihren Augen nun eine Chance, und wenn sie noch so gering sein mochte, zur Heilung haben.
Dr. Jens Hansen wußte es: Es war schwer, daran zu glauben.
»In Ihren Augen liegt ein wichtiger Teil unserer Therapie!« sagte er immer wieder. »Die Kranken sehen Sie an! Sie müssen ihnen den Glauben vorleben. Denn unser Leitgedanke ist einfach:
Großer Optimismus in der Therapie!
Scharfe Kritik am Erfolg!«
Er sah seine Mitarbeiter nacheinander an. »Erinnern Sie sich, was ich Ihnen an dem Tag gesagt habe, an dem Sie sich entschlossen haben, mit mir in der See-Klinik zu arbeiten: ›Was Sie hier erwartet, ist eine Nervenbelastung, eine Tag- und Nachtbereitschaft, wie sie kaum anderswo zu finden ist.‹ Sie haben alles auf sich genommen – zum Wohle von Patienten, die alle Hoffnungen in Ihre Hände gelegt haben. Wir müssen einfach versuchen, sie in diesen Hoffnungen zu bestärken.«
Hansen wußte, warum er seine Ärzte darum bat: Die völlige Umstellung der Ernährung, die Ausschaltung aller schädlichen Stoffe chemischer und physikalischer Natur, warf die Patienten der See-Klinik zunächst zurück. Und auch die nach Hansens Behandlungsmethode angewandte Therapie in drei Stufen bedeutete eine Belastung der Kranken, an die sie sich erst gewöhnen mußten: Beseitigung der erkrankten Kausalfaktoren, Beeinflussung der Zweitschäden und damit des Tumors und schließlich die spezielle Einwirkung auf das Wachstum des Tumors.
Jens Hansen hatte eine große Behandlungsskala vorbereitet. Als er sie durchzuführen begann, von der ersten Bürstenabreibung am frühen Morgen bis zur letzten Diätmahlzeit, eingebaut in einen Zeitplan, der auf die Minute genau mit eiserner Disziplin durchgeführt werden mußte, da hielten sich die Ärzte, Schwestern und Laboranten an den Chef. Und sie begannen zu verstehen, worum es ihm in seiner Klinik ging.
Dr. Jens Hansen schien allen bleicher geworden als vordem, aber von seiner Idee mit einer Energie aufgeladen, die unheimlich war.
Erschrocken blickte Hansen auf, als sich die Tür zu seinem Zimmer noch spät am Abend öffnete und Herta Färber eintrat.
Sie war geblieben. Und was sie nie geglaubt hatte, daß es möglich sei, entdeckte sie jetzt von Tag zu Tag mehr an sich selbst: Sie interessierte sich für die Kranken.
Jens Hansen diktierte ihr seine persönlichen Beobachtungen und Statistiken.
Aber Herta Färber war nicht gekommen, um über Krankengeschichten zu sprechen.
»Ich habe heute an Hubert geschrieben«, begann sie und setzte sich vor seinen Schreibtisch.
Nur schwer riß sich Hansen aus seinen Gedanken, versuchte zu lächeln und wußte im gleichen Augenblick, daß es ihm mißlungen war. »Bitte, überleg es dir, Herta. Wir sollten über alles noch einmal sprechen. Ich hätte es längst tun sollen … aber …«
Sie unterbrach ihn. »Es gibt kaum mehr etwas zu besprechen. Ich bleibe bei dir – weil ich dich liebe. Oder glaubst du, es sei eine Laune?«
Hansen schüttelte den Kopf. »Nein, du vergißt dabei nur die Konsequenzen.«
Herta Färber stand auf. »Ich habe alles überlegt, bevor ich nach Plön kam, Jens.«
Sie ging im Zimmer auf und ab, als fiele es ihr leichter, dabei zu sprechen. »Ich habe alles auf eine Karte gesetzt. So konsequent war ich, so stark ist das, was mich zu dir geführt hat. So entschlossen übergehe ich alles, was mich von dir trennt. Ich wäre bereit, für dich …«
»Sprich es nicht aus«, fiel ihr Hansen ins Wort. »Du wirst mir sonst noch unheimlicher, als du mir schon bist …«
Ihr Lächeln wirkte verständnisvoll. »Das sagst du nur, weil du eines nicht kannst: bedingungslos lieben. Du denkst, wo ich fühle. Und trotzdem: Gibt es eine bessere Verbindung?«
Hansen hatte Herta genau beobachtet. Er war versucht, das ›Ja‹ auszusprechen, das ihm auf der Zunge lag. Aber Hertas Augen hielten ihn davon ab. Und so sagte er nur: »Ich habe heute eine Bitte an dich: Schick den Brief an deinen Mann nicht ab!«
Wieder das Lächeln, verständnisvoll und wissend zugleich. »Wottke hat ihn
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