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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hatte Fräulein Lisbeth Burker ihren Platz. Eine Schneiderin aus Bremen. Sie war ein Mauerblümchen, das im Schatten blühte und das nie einen Sonnenstrahl der großen Welt mitbekommen hatte. Fräulein Burker war arm. Ihre Schneiderei ging schlecht … Es gab nur einen kleinen Kreis älterer Kundinnen, der bei ihr nähen ließ. Vier Geschwister legten jeden Monat zusammen, um die Behandlungen, die Operationen, die Bestrahlserien zu bezahlen … sie hatten auch alles Geld zusammengekratzt, um Lisbeth nach Plön zu bringen. Still, wie sie immer gelebt hatte, fiel sie in der Gemeinschaft nicht auf, betrachtete jeden Tag in dem Luxushaus wie eine Gnade und betete als einzige bei Tisch. Bis es die anderen bemerkten und verschämt ebenfalls die Hände falteten. Wer könnte Gott näher sein als die Hoffnungslosen …
    Nach einer Woche hatte Fräulein Burker in der Klinik zu nähen begonnen. Sie besserte Kittel aus, nähte Schürzen, Topflappen, Tischdecken, Schondecken und Sesselsitze.
    Hansen sah sich weiter um.
    Zwischen zwei Frauen, an einem Vierertisch, saß ein zehnjähriger Junge. Ein blonder, schmalgesichtiger Lockenkopf. Mit großen, blauen, ewig fragenden Augen. Sein ganzes Gesicht schien ein Staunen zu sein … ein Verwundern, hier in diesem Haus zu sein, ein Nichtbegreifen, daß er überhaupt lebte.
    Seine Röntgenbilder waren schrecklich. Ein großes Lungenkarzinom, das in den gesamten Bronchialraum übergriff. Verzweifelt war der Vater herumgefahren … von Kapazität zu Kapazität, von München nach Hamburg, von Hamburg nach London, von London nach Rochester zur Mayo-Klinik, von Rochester nach Tokio. Herr Brendeis konnte das … er besaß eine Nährmittelfabrik.
    Erschöpft war er schließlich mit dem kleinen Herbert in der ›See-Klinik‹ eingetroffen. »Können Sie helfen?« Und Hansen hatte die Röntgenplatten in den Lichtkasten gespannt und auf die zerstörte Lunge gesehen.
    »Nein!« hatte er da gesagt. »Das kann Ihnen niemand mehr versprechen. Aber ich kann versuchen, das Wachstum aufzuhalten, Metastasen zu verhindern … vielleicht kann ich die Möglichkeit einer Operation schaffen, die jetzt unmöglich ist. Vielleicht …«
    Herbert Brendeis war der Liebling der Patienten geworden. Vor allem Lisbeth Burker verwöhnte ihn, nähte ihm eine Hose und umschloß ihn mit ihren dünnen Armen, wenn er auf den Spaziergängen einen Erstickungsanfall bekam und hilfesuchend um sich schlug. Ihr Mutterkomplex war so groß, daß sie nachts mehrmals aufstand und hinüber in Herberts Zimmer schlich, ihn zudeckte und an seinem Bett wartete, bis seine Träume ihn nicht mehr quälten.
    Dr. Wüllner hatte sie einmal dabei überrascht. Dr. Hansen, dem er es meldete, schüttelte den Kopf. »Lassen Sie sie, Wüllner, wenn sie das glücklich macht. Sie wissen doch: Psychologische Behandlung der Krebskranken ist ein wichtiger Faktor in der Therapie. Nur zufriedene, glückliche Menschen erzeugen natürliche Abwehrstoffe auf hormonaler Basis. Man weiß heute noch viel zu wenig über die psychologische Therapie bei Krebskranken! Denken Sie an den großen Arzt Hufeland, der sagte: ›Traurigkeit, Kummer, Furcht, Angst, Kleinmut, Neid und Mißgunst erschöpfen die feinsten Lebenskräfte …‹«
    Hansen legte seine Serviette zusammen und nickte seinen Tischnachbarn lächelnd zu, da klang die knappe Frage durch den Saal:
    »Wer makt mit ein Seewanderung?«
    Der französische Oberst hatte sich erhoben und sah in die Runde. Mit einer Verneigung in die Richtung Hansens fragte er: »Vous permettez, docteur?«
    »Nur die Kräftigsten! Und wenn es den Therapieplan nicht stört.« Hansen war ebenfalls aufgestanden. Seine Anweisung verstand sich von selbst, er hätte sie sich sparen können. Er kam sich elend vor. Übelkeit stieg in ihm hoch. Karin, dachte er. Warum ist alles so gekommen? Wir haben uns doch immer geliebt. Und trotzdem trennen uns jetzt Klüfte, über die nicht einmal mehr unsere Stimme reicht …
    Der Speisesaal hatte sich längst geleert, die Tische waren schon abgeräumt. Jens Hansen stand noch immer an seinem Platz. Dr. Marianne Pechl wartete am Ausgang auf ihn und mußte sich zum zweiten Male ihre Gedanken über den Chef machen. Als er endlich kam, mit gesenktem Kopf, leicht vorgebeugt, machte er keineswegs den Eindruck eines Mannes in den besten Jahren, der entschlossen war, es mit einer Welt von Gegnern aufzunehmen.
    »Ist Ihnen nicht gut?« fragte die junge Ärztin.
    Hansen hob den Kopf. »Wie kommen Sie darauf,

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