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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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rasten.
    Nach drei Monaten zeigte sich ein erstaunlicher, ja ein fast momentaner Umschwung. Lisbeth Burker nahm an Gewicht zu, die Schmerzen flauten ab, der Tumor zerfiel und stieß sich ab …
    Dr. Hansen und seine Ärzte saßen fasziniert vor den Röntgenbildern, den Blutuntersuchungen, den histologischen Befunden und Eigenuntersuchungen. Es war ein Erfolg, der das Herz jedes Arztes in der Klinik mit einem Glücksgefühl füllte.
    »Ich bewundere Sie«, sagte Dr. Wüllner an einem Abend zu Dr. Hansen, als man Lisbeth Burker wieder ins Zimmer gerollt hatte, nach einem Sonnentag, den sie lachend und fröhlich auf der Terrasse verbracht hatte. »Obwohl es unbegreiflich ist … ich bewundere Sie!«
    Das Weiterleben Lisbeth Burkers war für die anderen Patienten nicht ein Wunder, sondern ein Anker ihres eigenen Glaubens. Einer aus unserer Mitte kehrt zurück … und morgen kann es jeder von uns sein! Jeder! Wir alle haben diese Chance.
    Am deutlichsten drückte es der französische Oberst Boncour aus. Als er wieder seinen täglichen Blumenstrauß brachte, legte er ihn diesmal Lisbeth Burker in den Schoß, als sei sie ein Denkmal.
    »Sie sind für mich ein Fanal!« sagte er. »Frü'er, isch marschierte 'er 'inter Fahne und Clairons … 'eute isch marschiere 'inter Ihr wiedergekommen Leben … Es ist 'errlich, zu leben und zu wissen, daß man kann weiterleben …«
    Im Spätsommer konnten Boncour und der Studienrat für neue Sprachen Fräulein Burker über den See rudern. Sie sah braun und gut genährt aus. Und ihre Augen lachten wieder.
    An einem Oktobermorgen wurden vier Patienten entlassen. Nach dreiundvierzig Toten in einem Jahr vier vielleicht Gerettete. Oberst Boncour, der Studienrat, eine Frau, die mit einem Collumkarzinom gekommen war, und ein Mädchen mit einem Morbus Hodgkin.
    Sie standen in der Halle der Klinik, umgeben von ihren Verwandten, die sie abholten. Oberst Boncour wollte eine Abschiedsrede halten. Er konnte es nicht. Die dicken Tränen liefen über seine Wangen, und er wischte sie nicht weg, er drehte sich nicht weg, er weinte vor aller Augen und schämte sich nicht. Er war stolz, daß er weinen konnte …
    »Sie müssen jedes Vierteljahr zur Nachuntersuchung wiederkommen«, sagte Dr. Hansen. Er sprach laut, burschikos … er sah an Boncour vorbei. Der Anblick des weinenden Obersten schnürte ihm den Hals zu.
    »Ich kann nicht zu Ihnen sagen: Sie sind geheilt! Erst, wenn Sie fünf Jahre ohne Rezidive und Metastasen sind, werde ich sagen können: Wir haben es geschafft. Ich kann Ihnen heute nur sagen: Sie werden weiterleben. Mehr kann ich Ihnen nicht versprechen …«
    »'err Doktor …!« Oberst Boncour biß die Lippen zusammen. Er riß sich zusammen, kam auf Hansen zu und umarmte ihn. In der Art der französischen Offiziere küßte er den Arzt auf beide Wangen …, dann verließ ihn die Haltung, er legte den weißhaarigen Kopf auf Hansens Schulter und weinte weiter.
    Einem Triumphzug glich die Wegfahrt der vier Entlassenen. Was in der ›See-Klinik‹ gehfähig war, begleitete die langsam fahrenden Wagen die Auffahrt hinunter, über die Seestraße bis zu dem kleinen Wäldchen, wo die Straße auf die Chaussee mündete. Dann standen die Kranken am Waldrand und winkten und winkten, bis die Kolonne der Wagen vom Morgendunst aufgesogen wurde.
    Auch Herta Färber stand auf der Terrasse und hatte den Wagen nachgewinkt. Als sie verschwunden waren, wandte sie sich an Dr. Hansen, der nachdenklich neben ihr stand, die Hände in den Taschen seines weißen Ärztemantels. Seine typische Haltung.
    »Sind sie wirklich außer Gefahr?« fragte sie leise. »Oder hast du es ihnen bloß so gesagt …?«
    Es war Hansen, als habe er einen Schlag in den Nacken bekommen. Er senkte den Kopf, wandte sich ab und ging wortlos ins Haus zurück.
    Herta war nur einen Augenblick von seiner Reaktion betroffen. Dann begriff sie, was diese vier Entlassenen für Hansen bedeuteten. Vier von der Krebslehre aufgegebene, als unheilbar erklärte Fälle. Sie hatten mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als Geheilte entlassen werden können. Vier Menschen, um die der Kampf entbrennen würde … der erbarmungslose Kampf der mächtigen medizinischen Dogmatik gegen den ›Außenseiter‹ Hansen.
    Herta drehte sich um und lief ihm nach.
    »Jens!« rief sie. »Jens … bitte … hör mich an! Es war eine dumme Frage …«
    In der leeren Halle traf sie auf Franz Wottke. Er kehrte den Boden. Die vielen Schuhe hatten Schmutz in die Klinik

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