Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
würgte er heraus. »Und der Kühlraum im Keller ist gut temperiert … wir haben ja noch zwei da unten liegen –«
    »Fritz …« Marianne hob die Arme. Wüllner blieb in der geöffneten Tür stehen.
    »Ja?«
    »Böse?«
    »N … nein –« Er wischte sich über die Augen. »Es ist hier alles nur so anders. Nicht einmal Zeit haben wir, zu fragen: Hast du mich lieb? Willst du mich heiraten?! – Immer sind Sterbende um uns, Tote, Stöhnende und Bettelnde. Immer sehen wir nur das Ende und wagen nie, an den Anfang zu denken … es ist schrecklich … und ich wollte in dieser Nacht das Gesetz durchbrechen und vom Leben sprechen! Im Zimmer eines Sterbenden.« Er hob die Schultern. »Ich weiß nicht, ob du mich verstehen kannst … Ein Erstickender sucht Luft … weiter ist es ja nichts –«
    »Komm … küß mich …«, sagte Marianne leise.
    Wüllner zögerte. Er starrte auf den zugedeckten Körper. Marianne sah den Blick. Sie reichte über den Toten weg und zog mit der Wandschnur das Licht aus. Wie ein Kind, das glaubt, mit der Dunkelheit alles auszulöschen, was auf der Welt ist.
    »Ja –«, sagte sie, als Wüllner sie wieder losließ. »Ich will deine Frau werden … Aber nur unter einer Bedingung …«
    »Und die wäre?«
    »Wir bleiben zusammen in der Klinik …«
    »Natürlich.« Wüllners Stimme klang fest. »Zusammen werden wir glücklich sein in diesem … diesem schrecklichen Haus …«
    Am Morgen sah alles anders aus.
    Die Sonne schien warm in die Zimmer und auf die Balkons, auf die Terrasse und die Wiesen, auf denen unter dem Kommando Oberst Boncours die ›Turnabteilung‹ ihre Freiübungen machte. Ein Gymnastiklehrer überwachte den Sport und beobachtete jeden einzelnen Patienten. So segensvoll sich die Bewegungstherapie auswirkte, so gefährlich war jede Überanstrengung. Die Gymnastik sollte kräftigen, Freude bringen, das Blut mit Luft und damit mit Sauerstoff anreichern …
    Auf dem See ruderten ein Bankbeamter und ein Studienrat für neue Sprachen in einem Boot. Sie trugen große Sonnenhüte, um die direkten Strahlen abzuschirmen. Wer sah ihnen an, daß der eine eine Lymphogranulomatose hatte und der andere ein Bronchialkarzinom?
    Den Buchhalter Wrobitsch hatten sie weggefahren. Aber das Leben der Übriggebliebenen ging weiter … ihr Leben … und die Hoffnung ging weiter und wuchs und wuchs mit jedem schwarzen Auto, dem sie durch das Tor nachsahen … Noch lebe ich! Noch habe ich eine Chance … Noch kann ich laufen … schwimmen … Freiübungen machen … wandern … segeln … essen … sehen … fühlen … hoffen … O Gott, laß es bei mir bleiben, alles, was Leben heißt …
    Dr. Hansens Kampf um Lisbeth Burker war schwer, aber nicht hoffnungslos. Was es nur gab in seiner breiten Therapie, ließ Hansen bei ihr ablaufen. Er griff sogar – entgegen seiner Meinung über die Wirksamkeit des Mittels – zu einem Präparat, das der italienische Arzt und Forscher Dr. Guarnieri in seinem Krebsforschungs-Institut entwickelt hatte. Es war ein ganzheitsbiologisches Mittel, das aus der Leber, der Milz und dem Duodenum soeben geborener gesunder Schafe oder Schafembryonen gewonnen wurde. Ausschlaggebend für Dr. Guarnieri war die Beobachtung gewesen, daß bei jungen Schafen keine Karzinome festgestellt wurden und diese auch experimentell nicht an ihnen zu erzeugen sind. Zudem weiß man, daß es fast nie primäre Milzkarzinome gibt und Metastasen in der Milz zu den Seltenheiten gehören.
    Dr. Hansen hatte lange gezögert, ehe er sich das umstrittene Präparat in seine ›See-Klinik‹ schicken ließ. Er griff schließlich dazu, um auch mit dem letzten Mittel zu versuchen, Lisbeth Burker zu retten.
    Lisbeth Burker ließ diese Behandlung über sich ergehen. Obwohl sie seit dem Tode ihres Lieblings Herbert Brendeis sterben wollte. Zu Hansen sagte sie einmal:
    »Warum tun Sie das alles, Herr Doktor? Lassen Sie mich sterben, bitte! Wäre ich nicht so schwach auf den Beinen … ich hätte mich längst aus dem Fenster gestürzt …«
    Lisbeth Burker wurde daraufhin umgebettet. Sie bekam ein Parterrezimmer. Tag und Nacht wurde sie von Schwestern überwacht.
    Als die Sonne richtig warm schien, wurde sie auf die Terrasse gerollt. Unter einem großen Sonnenschirm liegend, blickte sie über den Park, über die Gymnastik treibenden anderen Patienten, über den See, auf dem die weißen Segel der Boote sich im Wind blähten und Motorboote mit schäumendem Heck, Wellenreiter hinter sich ziehend, durch die Bucht

Weitere Kostenlose Bücher