Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Klinik von Buenos Aires las Jos Bertil in einer deutschen Zeitung einen kurzen Bericht über die ›See-Klinik‹ eines Dr. Hansen. Er las es mit Zweifel. Sein eigenes Schicksal hatte ihn mißtrauisch gemacht. Aber er schrieb nach Deutschland. Er schickte Röntgenplatten und seinen Krankheitsbericht. »Wenn Sie Hoffnung haben – ich habe sie nicht mehr! –, dann schreiben Sie mir bitte. Sonst schweigen Sie bitte … nach einem lauten Leben muß ich mich jetzt an die Stille des Weggehens gewöhnen. Ein Jahr habe ich Zeit dazu …«
    Dr. Hansen schrieb zurück. Kurz, ohne große Worte. »Kommen Sie zur Untersuchung …«
    Bertil flog sofort nach Deutschland. Als einfacher Hans Bertrich, unter seinem richtigen bürgerlichen Namen, wurde er in die ›See-Klinik‹ aufgenommen.
    Nach vier Monaten, in denen es nichts für ihn gab als Hansens Anordnungen, war er beschwerdefrei, und er begriff es einfach nicht, daß ein Mensch, zu dem man sagte: Du bist medizinisch tot! – nun doch weiterleben durfte.
    »Warum pilgert nicht die ganze Welt zu Ihnen?« sagte er einmal zu Dr. Hansen. »Ich begreife es nicht …«
    »Das ist nicht so schwer zu erklären.« Dr. Hansen hatte schmerzlich gelächelt. »Die Welt ist gewöhnt, sich von links nach rechts um die Achse zu drehen … ich drehe mich von rechts nach links … Glauben Sie wirklich, daß Millionen einen anderen Trott einschlagen, weil einer es ihnen sagt?«
    »Aber es geht doch um ihr Leben!«
    »Wenn Sie wüßten, wie wenig den Menschen ihr Leben wert ist! Lieber fünfzig Jahre richtig gelebt, als achtzig Jahre wie ein Mönch … das ist die allgemeine Ansicht, wenn man über Umstellung der Ernährung und vernünftiges Leben spricht. So ist es auch völlig sinnlos, über eine Krebsprophylaxe zu sprechen. Die Menschen wollen einfach nicht! Ich habe das einsehen gelernt. Lange genug hat es gedauert …«
    Hans Bertrich hatte sich wieder angezogen. »Sie tun mir leid, Herr Doktor«, hatte Bertrich ehrlich gesagt. »Um so bewundernswerter finde ich, daß Sie trotz aller deprimierenden Erfahrungen weitermachen …«
    Mit zunehmender Gesundung bekam Bertrich auch wieder Lust, sich künstlerisch zu betätigen. Eines Tages, nach dem Abendessen, hielt er im großen Gemeinschaftsraum eine Rede.
    »Wir leben hier auf einer Insel«, sagte er. »Wir sind eine große Familie, zusammengeführt durch ein gemeinsames Schicksal. Jeder von uns hat Talente. Warum sollen wir sie verkümmern lassen, warum sollen wir nicht pflegen, was in uns steckt? Was halten Sie davon, wenn wir versuchen, zu spielen und musizieren? Wenn wir eine Theatergruppe gründen? Ein kleines Orchester?«
    Der Aufruf wurde zunächst kritisch hingenommen. Aber nach zwei Wochen hatte Bertrich ein Gesangs-Ensemble von sieben Herren und vier Damen zusammen. Zehn instrumental Vorgebildete trafen sich zu einer ersten Besprechung … drei Geiger, ein Cellist, zwei Trompeter, ein Pianist, zwei Akkordeonspieler und sogar ein Trommler.
    »Das ist ein blendender Gedanke«, sagte Dr. Hansen zu seinen Ärzten. »Wir bauen eine Bühne. Musik und Theater werden beitragen, die seelischen Verkrampfungen der Kranken zu lösen.«
    Nach einer langen Aussprache mit Dr. Hansen entschloß sich Hans Bertrich, als erstes Stück die Komödie von Shaw ›Androklus und der Löwe‹ einzustudieren.
    Franz Wottke übernahm sofort die aparteste Rolle: er spielte den Löwen. Dazu machte er noch den Inspizienten.
    Ein Kunstmaler – er hatte ein Pankreaskarzinom – entwarf die Bühnenbilder. Lisbeth Wottke schneiderte die Kostüme. Ein Studienrat begann mit den Musikproben.
    Die größte Attraktion aber war der Darsteller des Androklus. Er hieß Peter Vindrich und war Besitzer dreier großer Werke im Saargebiet. Dort bewohnte er ein Schloß, war Herr über fünftausend Arbeiter. Im Hafen von St. Tropez an der Riviera schaukelte seine Jacht. Er wußte weder genau, wie viele Freundinnen er hatte noch wie groß sein Vermögen eigentlich war. Er erklärte sich bereit, den in Lumpen gehüllten verfolgten Christen zu spielen, der in der Arena von einem Löwen zerrissen wird.
    Für Wottke kamen schlechte Zeiten. Lisbeth, seine Frau, war vor lauter Glück fast eine Schönheit geworden. Wottke bemerkte es, wenn er in Plön mit ihr einkaufen ging und die Männer sich nach ihr umdrehten. Das machte ihn einerseits stolz, aber andererseits auch äußerst nachdenklich. Ich bin ein alter Knopf, dachte er. Und sie ist noch so jung. Kreuzdonnerwetter – sie muß ein

Weitere Kostenlose Bücher