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Die Behandlung: Roman (German Edition)

Die Behandlung: Roman (German Edition)

Titel: Die Behandlung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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allmählich ein etwas deutlicheres Bild. Penderecki hatte Caffery also tatsächlich ganz gezielt auf diese Reise geschickt.
    Lamb hatte eine zweiundvierzig Jahre alte Schwester namens Tracey. Auch sie hatte bereits wegen diverser Delikte ein paar Mal gesessen. Auf der Fahrt durch Suffolk, durch ruhige Dörfer mit prachtvollen Rosengärten und weiß gestrichenen Taubenschlägen, fragte er sich immer wieder, ob diese Tracey Lamb wohl eine Tätowierung am rechten Arm hatte.
    Als er dann weiter nördlich – an der Grenze zu Norfolk – in den ärmeren Teil von Suffolk kam, waren auf den Straßen kaum noch Autos unterwegs. Die Menschen hier lebten auf abgeschiedenen Einzelgehöften oder in Straßendörfern. Fast der einzige Hinweis darauf, dass er nicht völlig allein war, waren ausgebrannte Autos am Straßenrand und bisweilen eine Geistertankstelle mit verrosteten Zapfsäulen und unkrautüberwuchertem Vorplatz. Ringsum lag das – blutgetränkte – Land der keltischen Ikeni, und mitunter kam es ihm vor, als ob Boudikka höchstpersönlich ihn durch ihr Territorium geleitete. Hier draußen kannst du anstellen, was du willst – erfährt ohnehin niemand.
    Einmal tauchte Rebeccas Gesicht in seinem Bewusstsein auf, doch er vermochte das Bild gerade noch rechtzeitig zu verdrängen. Fast hätte er die Abzweigung zwischen den Bäumen verpasst, die von der flirrend heißen Landstraße wegführte und lediglich durch ein rostiges Schild mit der Aufschrift »4 x 4-Reifen« markiert war. Er bremste scharf ab, setzte zurück und bog mit dem Jaguar auf einen Feldweg ein. Rechts und links standen efeubewachsene Bäume, die eine natürliche Allee bildeten. Zwischen den üppig wuchernden Brennnesseln entdeckte Caffery verlassene alte Wohnwagen und Autowracks, und an einer Stelle war zwischen den Bäumen ein mannshoher verrosteter Pkw-Anhänger senkrecht aufgestellt. Nach gut hundert Metern hielt Caffery an und stieg aus dem Wagen. Besser, ich gehe zu Fuß weiter, das ist sicherer . Im ersten Augenblick war er völlig überwältigt von der Stille ringsum – nur das Röhren eines Düsenjägers von der Luftwaffenbasis Honnington war in der Ferne zu hören.
    Nach weiteren hundert Metern stand er am Rand einer Lichtung, die durch einen Kreis hoher Platanen vom übrigen Norfolk abgeschirmt war. Absolute Stille. Rechts von ihm ein Blechschuppen mit der fast verblichenen Aufschrift »Sportwagen«. Die Tür des Schuppens stand offen, und er blickte in eine Art Werkstatt mit einer baufälligen Werkbank, verrosteten Elf-Öldosen und in der Ecke gestapelten, geländetauglichen Reifen. Auf der anderen Seite des Schuppens lag eine unkrautüberwucherte Asphaltfläche und ein grob verputztes, quadratisches Haus, das an einen Atombunker erinnerte. Auch dort wieder Brennnesseln, die bis zu den Fensterbänken hinaufwuchsen. Irgendwo war ein Fernseher zu hören. Er ging ein paar Schritte weiter und sah, dass neben dem Haus zwischen den Brennnesseln der Fiat aus dem Video abgestellt war. An der Wagentür lehnte eine Maschendrahtrolle. Durch die Sitzflächen stachen die Spiralfedern. Trotzdem: Das Auto dort war der Wagen aus dem Video. Fast kam es Caffery vor, als ob er in eine eigens hergerichtete Kulisse geraten sei. Also musste das Video in dem Raum hinter dem Fenster dort drüben entstanden sein. Er trat näher heran.
    Die Vorhänge waren zugezogen, und er musste direkt vor das Haus treten, um einen Blick durch den Spalt zu erhaschen: an den Wänden der Widerschein eines Fernsehers. Obwohl es in dem Raum sonst kein Licht gab, wusste er sofort, dass er dasselbe Zimmer vor sich hatte wie in dem Video: mit Möbeln voll gestellt, die Wände mit billigen Ölschinken bedeckt. Und dann war da noch eine grauenhaft protzige Standuhr. In einem Bücherregal lagen vier Stangen Rothman’s-Zigaretten. Ja, das ist es – genau das. Und dann sah er die Frau.
    Eine riesige Frau saß in dem düsteren Zimmer auf dem Sofa. Auf ihrem Gesicht war das bläuliche Flackern des Fernsehers zu erkennen. Sie trug einen hellen Nylonslip und einen schmuddeligen BH. Die Fettwülste an ihren Oberschenkeln waren so riesig, dass sie die Beine kaum mehr zusammenbrachte. Ihr blonder Pony fiel ihr in die Stirn, das Haar war streng zurückgebunden und mit einem schwarzen Band befestigt. In den Ohren hatte sie goldene Ohrringe. Neben ihr standen eine Tasse und ein Aschenbecher, und daneben lag eine Packung Silk Cuts. Ist sie das? Die Haarfarbe ist anders. Die Frau auf dem Video war brünett

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