Die Behandlung: Roman (German Edition)
aber ich muss mich erst etwas erfrischen.«
Souness holte die beiden am Lift ab. Sie war beunruhigt, weil sie sah, wie erschöpft Caffery war. »Alles in Ordnung, Jack?«, flüsterte sie, als die beiden Bela in ihr Gemeinschaftsbüro geleiteten. »Sie sehen aus, als müssten Sie sich jeden Augenblick erbrechen.«
»Ja. Erzähl ich Ihnen später.« Er ging kurz nach nebenan, um Kryotos das Eis zu überreichen, und kehrte dann zu den beiden Damen zurück. Mrs. Nersessian hatte es sich inzwischen bequem gemacht und war bereits voll in Aktion. Sie kramte in einer ihrer Einkaufstüten und brachte eine längliche Packung Dottato-Feigen und zwei Pakete Garibaldi-Biscuits zum Vorschein.
»Herrliche Feigen.« Sie inspizierte die Früchte und stieß dann einen ihrer lackierten Fingernägel in das weiche Fleisch. »Genau richtig. Feigen sind das Brot des armen Mannes, Mr. Caffery, sie enthalten reichlich Kalzium und sind gut für den Darm. Und nur wer einen sauberen Darm hat, kann auch klar denken. Könnten Sie bei Ihren Ermittlungen gut brauchen – einen klaren Kopf.« Sie schüttete ein paar Plätzchen auf den Schreibtisch und sah Caffery mit einem aufmunternden Lächeln an. »Los, nehmen Sie schon – was ist eigentlich mit Ihnen los, weshalb sind Sie nur so dünn? Bekommen Sie von Ihrer Frau etwa nicht genug zu essen?«
»Mrs. Nersessian …«
»Nennen Sie mich ruhig Bela, mein Bester. Natürlich könnte ich Ihre Mutter sein, aber eine alte Frau bin ich noch nicht. Und Sie, meine Teuerste« – sie beugte sich über den Schreibtisch und legte Souness die Hand auf den Arm -, »natürlich möchte ich Ihnen nicht zu nahe treten, aber was sagt denn Ihr Ehemann zu Ihrem Gewicht? Nicht, dass ich was daran auszusetzen hätte – manche Männer haben ja sogar eine Vorliebe für …«
»Bela«, unterbrach Caffery sie, »wir würden jetzt gerne mit Ihnen über Alek sprechen.«
»Ach ja!« Als sie ihm den Kopf zuwandte, klimperte ihr Goldschmuck. »Ach, Alek – das ist auch so ein Fall, der will seit Tagen nichts essen – sie sollten ihn mal sehen. Den ganzen Tag läuft er nur herum – geht im Park auf und ab, der arme Mann. Die Familie ist wirklich nicht zu beneiden.« Sie legte ihre Hände wie im Gebet zusammen und drehte die Augen Richtung Decke. »Gott möge uns ersparen, was diesen Menschen widerfahren ist.« Dann ließ sie die Hände wieder sinken, schob sich eine dicke Feige in den Mund, saß kauend da und sah Caffery lächelnd an. »Allerdings wäre ich mit den armen Leuten etwas einfühlsamer umgegangen, als Sie es für nötig befunden haben. Ja, ich hätte es ihnen etwas schonender beigebracht. Aber das soll natürlich keine Kritik sein.«
»Bela, reden wir jetzt mal über Carmel. Wie geht es ihr eigentlich?«
»Der Mann, den Sie vorbeigeschickt haben, hat mit ihr gesprochen, aber sie sitzt nur ständig da und starrt die Wand an.«
»Ja – haben wir schon gehört. Und – spricht sie wenigstens mit Ihnen?«
»Nein, nur mit Annahid.« Sie schob sich wieder eine Feige in den Mund und wählte mit den Augen aus den übrigen Früchten bereits den nächsten Kandidaten aus. »Die arme Frau – ständig weint sie, wenn Annahid mit ihr spricht, aber vielleicht hilft ihr das ja ein wenig.«
Souness rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. »Bela – dieser Alek hat doch schon eine ganze Weile nicht mehr gearbeitet, ist das richtig?«
Bela blickte auf, als ob Souness von ihrem Stuhl aufgestanden wäre und ihr eine Ohrfeige verpasst hätte. »Der Mann ist doch fix und fertig .« Sie starrte die Polizistin mit offenem Mund an. »Wie soll er denn jetzt an Arbeit denken – er hat doch gerade erst seinen Sohn verloren.«
»Ich glaube, Inspector Souness meint vor dem Unglück.«
»Vorher? Ach so …« Sie betupfte ihre Oberlippe, auf der sich ein paar Schweißperlen gebildet hatten. »Ach so. Na ja. Früher hat er mal’ne Disko gehabt, wissen Sie, eine mobile Disko, und – ja – er liebt seine Plattensammlung und Amerika. Ja, er liebt Amerika, würde gerne drüben leben und glaubt, dass er mit seiner schwarzen Mähne wie Elvis aussieht. Der Mann hat seit Jahren davon geträumt, mal mit Rory nach Graceland zu fahren. Aber er hat natürlich auch’ne Menge Ärger gehabt. Man kann ja verstehen, dass die Familie nicht wollte, dass er Carmel heiratet. Aber ich persönlich hab nie was gegen ihn gehabt. Und auch nicht gegen Carmel.« Sie hielt Caffery eine Packung Garibaldi-Plätzchen unter die Nase. »Los, nehmen Sie
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