Die Behandlung: Roman (German Edition)
Zentralbrixton eilte. Doch dann setzten sie ihren Weg fort und dachten nicht mehr an den merkwürdigen Mann. Ja, so war das nun mal in Brixton – ständig musste man auf die eigenartigsten Menschen gefasst sein.
Gegen 17 Uhr fand Caffery schließlich, wonach er suchte. Sobald Rebecca mit einer Tasse Tee und einer Illustrierten in den Garten hinausgegangen war und versprochen hatte, an die Terrassentür zu klopfen, falls sie hereinkommen wollte, holte er die Videos aus dem Kämmerchen und legte sich seine Notizen zurecht. Peach hatte in seiner grauenhaften Schilderung unter Tränen etwas gesagt, was Caffery nicht mehr aus dem Kopf ging: »Ständig hat der Kerl behauptet, dass es im ganzen Haus nach Milch riecht. Er hat überall herumgeschnüffelt und sich darüber beklagt, dass alles nach Milch riecht.« Caffery wusste, dass auf einem der Videos ein ähnlicher Satz zu hören war, konnte die merkwürdige Feststellung aber mit keiner bestimmten Szene mehr in Verbindung bringen. Also überflog er die Notizen, die er sich im Büro gemacht hatte, und legte einen Großteil der Bänder gleich beiseite. Auf etlichen davon war überhaupt nichts zu hören oder lediglich eine einzelne Stimme, die einem – in die Kamera blinzelnden – kleinen Kind Anweisungen erteilte. Ja, so ist es schön – sehr schön … Aber es gab drei Videos, auf denen im Off genuschelte Gespräche zu hören waren, und diese Bänder schaute sich Caffery nun noch einmal an. Im Grund genommen suchte er nur einen völlig belanglosen Gesprächsfetzen, und als er schließlich fand, wonach er suchte, war er fix und fertig.
Ja, auf diesem Band muss es sein.
Dieses spezielle Video fand er besonders widerlich, weil das Kind, das zu sehen war – ein vielleicht neunjähriger Junge -, so offensichtlich darum bemüht war, tapfer zu sein und es der Kamera recht zu machen, und weil in dem Film so deutlich zu sehen war, dass der Junge sich seines Körpers schämte. Er war übergewichtig und hatte allem Anschein nach nicht einmal so viel Angst vor dem Missbrauch selbst, der mit ihm getrieben wurde. Seine Hauptbefürchtung schien zu sein, dass er die Erwartungen nicht erfüllte und dass er wegen seines Übergewichts vielleicht nicht gefallen könnte.
Die Szene spielte in einem überraschend gepflegten Badezimmer. Genau genommen in einem typischen Vorstadtbad aus den Achtzigerjahren. Die Wände waren in einem hellen Rosaton gehalten, und die Tür wurde von einem rosa-grauen Blumenmuster eingefasst. Dazu flauschige rosa und weiße Handtücher, die über einer Metallstange hingen. Das mit vernickelten Wasserhähnen ausgestattete Waschbecken hatte die Form einer Muschel. Anscheinend war das Video im Winter entstanden, denn von Zeit zu Zeit zitterte das Kind am ganzen Körper. Die übrigen Mitwirkenden – zwei erwachsene Männer – trugen Gummimasken.
»Ein richtiger Sonntagsbraten«, flüsterte jemand im Off. Nun folgte etwas, was Caffery nicht verstehen konnte, und dann das Wort »schwabbelig«.
»Fett wie’ne Sau«, sagte kichernd eine andere Stimme. »Echt fett wie’ne Sau.«
»Wie findest du ihn, Rollo?«, fragte eine weitere Männerstimme.
Caffery rutschte auf dem Sofa ein wenig nach vorne.
»Er riecht.« Eine monotone, desinteressierte Stimme. »Er riecht nach Milch.« Dann ein Schlurfen im Off, und etwas fiel um. Die Aufnahme wurde gestoppt, und als das Band weiterlief, erschien eine volle Badewanne im Bild, und der Junge lag im Wasser und schob seinen Unterleib so weit nach oben, dass sein noch unentwickeltes Glied aus dem Wasser ragte.
»Okay, das sieht gut aus – und jetzt fass dich mal da unten an …«
Caffery stoppte das Band, ließ es ein paar Bilder zurücklaufen und drückte dann wieder auf Start.
Ein richtiger Sonntagsbraten … schwabbelig.
Fett wie’ne Sau. Echt, fett wie’ne Sau.
Wie findest du ihn, Rollo …?
Er riecht. Er riecht nach Milch.
Okay, das sieht gut aus …
Er ließ das Band wieder zurücklaufen.
… Sau.
Wie findest du ihn, Rollo …?
Er riecht. Er riecht nach Milch.
Okay, das …
Rücklauf. Start.
Er riecht. Er riecht nach Milch.
Okay, das …
Rücklauf. Start.
Er riecht, er riecht nach … riecht nach Milch … riecht, riecht nach Milch, riecht … Rollo? Er riecht. Er riecht nach Milch. Okay, das sieht gut aus … Wie findest du ihn, Rollo? Er riecht, riecht nach Milch, wie findest du ihn, Rollo, Rollo, Rollo.
Caffery suchte in seiner Jackentasche nach dem Handy. Ihm blieb vor Beginn der Besuchszeit
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