Die Behandlung: Roman (German Edition)
noch gerade genügend Zeit, sich in der Gefängnisverwaltung anzumelden und dann durch den dichten Nordlondoner Verkehr nach Holloway zu fahren.
Er hatte sich unter dem Namen »Essex« registrieren lassen – Paul Essex – und sich mit Essex’ Führerschein ausgewiesen. Er wollte nicht, dass der Name Jack Caffery in der Besucherliste auftauchte, und ebenso wenig wollte er, dass jemand in dem Gefängnis erfuhr, dass er Polizist war. Im Besucherzentrum schaltete er sein Handy aus und legte es zusammen mit seinen übrigen Sachen in eines der mit einer Glastür ausgestatteten Schließfächer. Dann ließ er sich von der Aufsichtsbeamtin wie ein Teenager, der abends eine Disko besucht, einen – unsichtbaren – Stempel auf den Handrücken drücken.
Er war schon dutzende von Malen hier gewesen, trotzdem war dieser Besuch für ihn eine neue Erfahrung. Das wurde ihm bewusst, als er an der Plastikbanderole entlangging, die den Besuchern den Weg wies. Er sah die kalt prüfenden Blicke des Wachpersonals, und dann kam die Mundkontrolle: »Und jetzt bitte die Zunge heben, Sir, und jetzt drehen Sie den Kopf bitte in diese Richtung, gut, und jetzt zur anderen Seite.« Plötzlich wurde ihm klar, dass er die üblichen Gefängnisrituale an diesem Nachmittag mit völlig neuen Augen sah – Weil du heute nämlich auf der anderen Seite stehst, ob es dir nun passt oder nicht: Du stehst jetzt auf der anderen Seite . So war es also, wenn man den Knast als Außenstehender erlebte – ein bedrohliches bürokratisches Ungetüm. Die Beamtin, die ihm den Hosenbund rundum abtastete und dann vorne an seiner Hose zog, sah ihm nicht ins Gesicht. »Danke, Sir.« Dann winkte sie ihn durch.
Als er sich vor dem Besucherzimmer der Reihe Wartender anschloss, ging ein Beamter mit einem desinteressiert scheinenden Drogenhund an ihnen vorbei. Offenbar spürte das Tier Cafferys Unbehagen. Es blieb neben ihm stehen, drehte den Kopf ein wenig zur Seite und sah ihn kalt an – fast so, als ob der verdammte Hund weiß, auf welcher Seite du wirklich stehst . Durch den Blick des Hundes irritiert, öffnete Caffery den obersten Knopf seines Hemdes, wandte den Blick ab und spürte, wie der Beamte ihn von der Seite musterte. Um Gottes willen … nun geht schon weiter … Doch dann verlor der Hund das Interesse und lief weiter an der Reihe entlang und blieb schließlich neben einer Frau stehen, die einen Kinderwagen schob. »Gnädigste.« Sah ganz so aus, als ob der Hund wegen des Babys stehen geblieben war. Durchaus nichts Ungewöhnliches, dass Drogen in Säuglingswindeln eingeschleust wurden. »Wenn Sie mir bitte folgen würden.«
»Mr. – hm … – Essex.« Die Beamtin neben der Tür markierte auf ihrer Liste Cafferys falschen Namen, entriegelte dann die Tür und wies mit dem Kopf auf einen Tisch ganz in der Nähe. »Setzen Sie sich bitte dort an den Tisch in der Sektion Neuzugänge.«
Diese Sektion war den Häftlingen vorbehalten, die erst im Laufe der vergangenen Woche eingeliefert worden waren. Caffery setzte sich auf den roten Plastikstuhl und drehte der Aufsichtsbeamtin den Rücken zu. Dann sah er sich ein wenig in dem Raum um. Von der Decke hingen Styroporpaneele herab, auf dem Teppichboden waren reichlich Teeflecken. Ja, so war das nun einmal: Einige der Häftlinge flippten völlig aus, wenn sie Besuch bekamen, und dann konnte es leicht passieren, dass sie vor lauter Aufregung ihren Tee verschütteten. Hatte er schon x-mal erlebt. Schließlich öffnete eine Beamtin die Tür der Sammelzelle, und es erklang lautes Gemurmel. Dann strömten die Häftlinge in den Besucherraum, und durch die Tür drang ein Schwall Zigarettenrauch in den Raum. Caffery legte die Hände auf den kleinen Holztisch und senkte den Blick. Und so saß er wartend da und starrte auf seine Hände, bis Tracey in einem hellblauen T-Shirt, einer bis zu den Waden hochgezogenen Jogginghose, ausgelatschten Turnschuhen und mit einer Fußfessel auf der anderen Seite des Tisches erschien. Sie hatte das Haar am Hinterkopf zusammengebunden und trug Ohrringe. Nachdem sie sich am Teeausschank einen Styroporbecher organisiert hatte, ließ sie sich ihm gegenüber auf den blauen Häftlingsstuhl fallen. Zugleich inspizierte sie mit ihren funkelnden kleinen Augen seine Kleidung, sein Gesicht und seine Augen.
»Sie haben sich hier unter einem anderen Namen registrieren lassen«, sagte sie. »Die Aufseherinnen haben gesagt, dass mich ein gewisser Essex besuchen will.«
»Ein alter Freund von mir.«
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