Die Behandlung: Roman (German Edition)
Laub es von Raupen nur so wimmelte. Er stellte sich auf die Hinterbeine, legte die Pfoten gegen den Stamm und war nicht mehr von dieser Stelle wegzubekommen.
Caffery und seine Begleiter befanden sich genau an der Stelle, wo Roland Klare drei Tage zuvor die Pentax-Kamera und die rosa Handschuhe gefunden hatte.
9. KAPITEL
Caffery, der Leiter der Beweismittelstelle und Detective Sergeant Fiona Quinn trafen im Empfangsbereich des Gerichtsmedizinischen Instituts mit dem Pathologen Harsha Krishnamurthi zu einer Art Vorbesprechung zusammen. Sie saßen an einem Tisch, dessen Plastikfläche mit Blumenmustern verziert war, und sprachen darüber, wie Rory Peach am besten zu obduzieren sei. Hinterher ging Caffery auf die Toilette und kühlte sich das Gesicht mit kaltem Wasser.
Erst vor wenigen Stunden hatte er in dem Park in das Geäst des Baumes hinaufgestarrt. Und dann hatte er plötzlich gesehen, wie Rory dort oben festgebunden war. Sein erster Impuls war es gewesen, direkt zu Pendereckis Haus in Brockley zu fahren, den Mann bei seinen wenigen verbliebenen Haaren zu fassen und so lange mit dem Gesicht gegen die Wand zu knallen, bis der alte Widerling keinen Mucks mehr von sich gab. Der Achtjährige war – zusammengerollt – mit einem Seil an einem Ast festgebunden. Aus der Luft betrachtet, musste er in etwa wie ein Autoreifen erscheinen. Er hatte sich mit den Fingernägeln tiefe Wunden in die eigenen Wangen gegraben. Wäre Rory nur ein wenig größer gewesen, hätten die Suchmannschaften ihn vielleicht früher entdeckt – wenn er vielleicht schon zehn oder elf und nicht erst acht Jahre alt gewesen wäre, dachte Caffery. Und dann stand plötzlich wieder jener siebenundzwanzig Jahre zurückliegende Tag vor ihm, und ihm fiel ein, dass damals niemand in den Bäumen am Bahndamm nachgesehen hatte. An die Bäume hatte niemand auch nur im Traum gedacht. Selbst nach so vielen Jahren fiel ihm immer wieder eine neue Möglichkeit ein, wie Penderecki Ewan damals vor der Polizei versteckt haben konnte.
Er trocknete sich das Gesicht mit einem Papierhandtuch ab und eilte durch den Vorraum, wo in riesigen Schubladen diverse Leichen verwahrt wurden. Vorne an den Fächern steckten kleine Etiketten in den dafür vorgesehenen Metallschlitzen – rosa, wenn es sich um eine weibliche Leiche handelte, und blau, wenn die Leiche männlich war. Nicht nur bei der Geburt, selbst noch im Tod werden wir nach Geschlechtern getrennt, dachte er und trat in den Obduktionsraum, wo winterliche Temperaturen herrschten. Die Wände waren wie ein altmodisches Schwimmbecken mit hellgrünen Fliesen gekachelt, und in der Luft hing ein undefinierbarer Blutgeruch – fast wie in einer Metzgerei. Unter den Tischen lagen Schläuche, aus denen Wasser auf den gefliesten Boden strömte. Zwei Wagen mit Leichen, denen man ihren Namen mit Filzstift auf die Wade geschrieben hatte, standen ein Stück abseits an der Wand. Die Habseligkeiten und die Namensetiketten der beiden Toten waren in gelben Müllsäcken auf einem dritten Wagen deponiert. Die Schnitte am Hals der bereits geöffneten Leichen waren mit blauen Papierhandtüchern zugestopft. Ein Assistent in einer grünen Plastikschürze und mit schwarzen Gummistiefeln hatte sich über eine der Leichen gebeugt und entnahm ihr gerade die Eingeweide. Er schüttelte die Gedärme, als ob er gerade eine Ladung frischer Wäsche aus der Waschmaschine geholt hätte.
Rory Peach, der noch vor kurzem ein fröhlicher kleiner Junge gewesen war, lag jetzt – in eine weiße Plastikhülle eingewickelt – beinahe kreisrund eingerollt auf einem Tisch in der Mitte des gekachelten Raumes. Die drei Pathologie-Assistenten, die sich um den Tisch versammelt hatten, erinnerten an ein makabres Gruppenbild. Keiner von ihnen blickte auf, als Caffery in der Tür erschien. Pathologie-Assistenten sind merkwürdig schweigsame – häufig verschlossene – Zeitgenossen, die meist nur mit ihresgleichen verkehren und sich durch einen völlig ungetrübten Realismus auszeichnen. Sie gehen dem Pathologen zur Hand und erledigen bei Obduktionen meist die Knochenarbeit, ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Allerdings hatte Caffery noch nie erlebt, dass sich die Männer so merkwürdig verhielten wie an diesem Sommernachmittag. Als sie von dem Tisch zurücktraten und wieder ihren diversen Aufgaben nachgingen – Eingeweide einsammelten und den Boden mit Wasser abspritzten -, brauchte Caffery einen Augenblick, um zu begreifen, dass sie soeben dem kleinen
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