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Die Behandlung: Roman (German Edition)

Die Behandlung: Roman (German Edition)

Titel: Die Behandlung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Bündel dort drüben auf dem Tisch ihre Reverenz erwiesen hatten. O Gott, dachte er, das wird eine verdammt harte Veranstaltung werden.
    Dann kam Harsha Krishnamurthi herein, ein stattlicher Mann mit grau melierten Haaren. Er fummelte an seinem neuesten Spielzeug herum, einem Diktafon mit Freisprechanlage, brachte sich vor dem Tisch in Position und zog dann die Plastikabdeckung von dem toten Jungen. Die Umstehenden schraken sichtlich zusammen und holten tief Luft.
    Der Körper des Jungen bildete einen Halbkreis. Rory lag – die Hände über dem Kopf verknotet – wie ein schlafendes Kätzchen da. Fast schien es, als ob er etwas auf seiner Brust betrachtete. Sein Kopf war mit braunem Klebeband umwickelt, das seine Augen und seinen Mund verschloss. Sein Körper verströmte nicht den geringsten Geruch, als ob sein junges Fleisch für solche Ausdünstungen noch zu rein sei. Und seine Haut war so glatt, als ob er gerade der Badewanne entstiegen war. Krishnamurthi räusperte sich und fragte Caffery, ob es sich bei dem Jungen um dasselbe Kind handle, das man im Brockwell Park oben in einem Baum entdeckt hatte. Caffery nickte: »Ja.« Damit waren die Formalitäten erledigt.
    Zunächst durchschnitt Krishnamurthi mit größter Sorgfalt etwa fünf Zentimeter neben dem Knoten das Seil, mit dem Rory gefesselt war. Man konnte die Fessel nämlich nicht nur auf DNS-Spuren hin untersuchen, sondern sie zudem von Knotenspezialisten analysieren lassen. Deshalb legte der Pathologe größten Wert darauf, nichts zu beschädigen. Als er fertig war, ließ er das Seil in einem bereitliegenden Beutel verschwinden. Der Fotograf ging unterdessen um den Tisch herum und fotografierte die Leiche aus sämtlichen Perspektiven, während ein Beamter der Spurensicherung den Beutel mit dem Beweisstück verschloss und beschriftete und dann auf seinen Wagen legte.
    Dieser Vorgang wiederholte sich, bis sämtliche Seile entfernt waren und Rory plötzlich völlig anders aussah. Er lag jetzt zusammengekrümmt auf dem Tisch. An seinen Armen, Knien und Fußgelenken waren tiefe Furchen mit aufgeschwollenen Rändern zu erkennen, die die Seile zurückgelassen hatten. Krishnamurthi versuchte vorsichtig, die angewinkelten dünnen Beine zu bewegen. Als sie sich ohne weiteres strecken ließen, hielt er kurz inne, und auf seinem Gesicht erschien ein merkwürdiger Ausdruck. Auch die Umstehenden hielten den Atem an. Krishnamurthi sah rasch auf die Uhr an der Wand und bewegte dann vorsichtig Rory Peachs Füße. Anschließend untersuchte er die Hände und das Gesicht des Jungen.
    »Also …« Er klappte seinen Gesichtsschutz nach oben und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. »Bisher hat die Leichenstarre erst das Gesicht und den Oberkörper erreicht. Ich werde jetzt …« Er verstummte einen Augenblick. Caffery spürte, wie der Mann eine Gefühlsaufwallung niederkämpfte. Die beweglichen Füße des Jungen hatten in dem Pathologen einen entsetzlichen Verdacht geweckt. »Ich werde jetzt die Lebertemperatur messen.«
    Caffery drehte sich zur Seite. Er hatte schon viele Mordopfer gesehen, die meisten wesentlich schlimmer zugerichtet, als Rory es war. Er hatte einen fünfundvierzig Jahre alten Mann gesehen, von dem einige anonyme Geschäftspartner nichts weiter übrig gelassen hatten als ein fünf Kilo schweres Stück des Rumpfes. Er hatte ein fünfzehnjähriges Mädchen gesehen, das vom Gesicht bis zu den Schultern abwärts von Füchsen buchstäblich zerfleischt worden war. Im Übrigen verspürte er nicht das geringste Bedürfnis, sich durch eine besonders tiefe Erschütterung hervorzutun. Allerdings wusste er so gut wie Krishnamurthi, in welcher Abfolge in den verschiedenen Partien des Körpers die Leichenstarre einsetzt, was die Versteifung der Gesichtsmuskulatur und die Beweglichkeit der Füße über den Zeitpunkt von Rorys Tod aussagten. Er war wie vom Donner gerührt. Zum ersten Mal in seinem Leben musste er den Obduktionsraum verlassen.
    Er stand im Vorraum, schob sich ein Pfefferminzbonbon zwischen die Zähne und rieb sich die Hände, um die Bilder des Grauens aus seinem Kopf zu verbannen, als plötzlich die Tür aufging. Souness kam herein und klopfte mit den Händen ihr Jackett ab, als ob ihre Kleidung voller Spinnweben wäre.
    »Dieses Pressepack ist einfach unerträglich.« Sie schüttelte sich. »Aber ich hab die Bande trotzdem abgehängt.« Sie drückte die Tür hinter sich zu und vergewisserte sich dann noch mal, dass sie auch wirklich ins Schloss

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