Die Behandlung: Roman (German Edition)
Polizei sofort zu beantworten. »Und wenn ich mir die Organkapseln näher angeschaut habe.«
»Und welchen Befund erwarten Sie?«
»Klebrige Kapseln, vielleicht Blutungen im Verdauungstrakt.«
»Und das heißt?«
»Das sag ich Ihnen, sobald ich nachgeschaut habe.« Er sah sie mit zusammengekniffenen Augen an und räusperte sich missbilligend. »Okay?«
»Natürlich.« Souness hielt sich zurück. Sie durfte ihn auf keinen Fall verärgern. »Ja, gut.«
»Also.« Krishnamurthi beugte sich wieder über den Tisch, um Rorys Hals zu inspizieren. »Am Kehlkopf ist ein schwach ausgeprägtes Würgemal zu sehen, das auf eine Abschnürung der Karotiden und der Jugularvenen hindeutet, und zwar infolge Strangulierung mit einer Schnur, punktförmige Blutungen in den Augen sind allerdings nicht zu erkennen. Ferner sind ein paar Kratzspuren und Hämatome am Hals zu verzeichnen.« Er sah Souness an. »Aber das ist nicht die Todesursache.«
»Nein?«
»Nein.«
Nein, Danni. Caffery blickte auf seine Schuhe. Daran ist Rory nicht gestorben. Ich glaube, ich weiß schon, wie er gestorben ist.
»Später sollten wir uns das Würgemal nochmals bei entsprechender Ausleuchtung anschauen«, fuhr Krishnamurthi fort, »und dann weitere Fotos von der Stelle machen.« Er trat einen Schritt zurück und gestattete es einem der Assistenten, Rorys Körper umzudrehen – mit gekonntem Griff und ohne in das Gesicht des Jungen zu blicken. In dem Obduktionsraum herrschte absolute Stille. Als Rory jetzt auf dem Bauch lag, traten die kleinen Dornfortsätze seiner Wirbelsäule unter der dünnen Haut zu Tage. Das Papierhandtuch haftete noch immer an Rorys Schulter. Krishnamurthi sah niemanden an, als er es entfernte und in einen Beutel gleiten ließ. Anschließend inspizierte er die Wunde an Rorys Schulter, trat dann nach einigen Sekunden von dem Tisch zurück und hob den Kopf.
»Hm«, sagte er und sah die Umstehenden an. »Ich glaube, das sollte sich mal ein Zahnarzt etwas näher ansehen.«
Josh spielte in der Hitze des strahlend blauen Nachmittags in seiner Darth-Maul-Badehose im Planschbecken. Er kehrte den Bäumen den Rücken zu und war vollauf damit beschäftigt, das Raumschiff Thunderbird 4 ein ums andere Mal auf den Boden des Beckens zu tauchen und dann an die Oberfläche schießen zu lassen. Das Sonnenlicht spiegelte sich im Wasser, und jenseits des Zaunes im Park summten im Schatten der Kastanien die Insekten.
Hal stand mit einer kalten Cola auf der Terrasse und blickte besorgt in Richtung der Bäume. Inzwischen hatten sich dort nämlich zahlreiche Uniformierte eingefunden und eine Parzelle des Parks mit flatternden Plastikbändern abgesperrt. Offenbar hatte die Polizei etwas entdeckt. Er nippte nachdenklich an seiner Cola. Mein Gott, war er froh gewesen, als sie endlich aus der voll gestopften Wohnung oberhalb des Straßenausschanks in der Front Line weggezogen waren, doch jetzt sah es ganz so aus, als ob die Probleme, vor denen er aus Brixton geflohen war, ihn in seinem neuen Domizil bereits wieder eingeholt hätten.
Die Front Line. Ja, früher einmal waren die Churchs stolz auf die Adresse gewesen und hatten sich dort wohl gefühlt – mitsamt den Kakerlakenfallen unter dem Waschbecken und den Thunfischsandwiches im Phoenix Café, wo Hal sich mit Darcus Howe heiße Gefechte wegen der politischen Kehrtwendung der Labour Party geliefert hatte. Ja, das hatte ihm gefallen: zusammen mit Ben unter ganz normalen Leuten zu leben. Sie hatten noch miterlebt, wie 96 in dem Viertel die Unruhen ausgebrochen waren, als ein gewisser Wayne Douglas im Polizeigewahrsam ums Leben gekommen war – ja, er hatte gerade mit dem Hausschlüssel in der einen und ein paar Leihbüchern in der anderen Hand auf der Straße gestanden, als das Dogstar in Flammen aufgegangen war. Wumps! Und dann waren plötzlich überall an den Türen und Fenstern Leute erschienen und hatten zugesehen, wie aus den Rauchwolken brennende und halb geschmolzene Kartoffelchipstüten herabgeregnet waren.
Aber dann war plötzlich Josh da gewesen, und alles hatte sich schlagartig verändert. Plötzlich trugen sie Verantwortung. Die kreischenden Schizophrenen, die Handtaschenräuber, die reichen jungen Clubgänger, die finsteren Louis-Farrakhan-Anhänger – unglaublich attraktive schwarze Jungmänner in absolut perfekt sitzenden Anzügen, die mit fromm gefalteten Händen an Ecken herumlungerten und in ihrem Hirn schreckliche Pläne auszubrüten schienen -, das alles war ihnen plötzlich
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