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Die Behandlung: Roman (German Edition)

Die Behandlung: Roman (German Edition)

Titel: Die Behandlung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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einer Stelle den Arm aufgeschlitzt hatte. An der Heizung, an den Wänden und auf dem Boden – überall Blut.
    »Josh«, weinte sie, »Hal?« Grauenhafte Bilder schossen ihr durch den Kopf: Vielleicht war Josh ja schon tot. Vielleicht hatte diese Ausgeburt seiner Fantasie – der Troll – ihn ja bereits irgendwo am Ast eines Baumes festgebunden. »Reiß dich zusammen«, murmelte sie und legte sich die Hände auf die Augen. »Troll – so was gibt es doch gar nicht … Reiß dich endlich zusammen.«
    Aber wie ist er nur hereingekommen? Ob die Haustür offen steht – und Hal? Ja, Hal – was ist denn aus dir geworden? Aus dem gelben Licht, das durch die Vorhänge hereindrang, und der Stille draußen schloss sie, dass es Nacht sein musste. Auch wenn es ihr so vorkam, als ob sie nur ganz kurz ohnmächtig gewesen wäre, hatte sie offenbar den ganzen Tag bewusstlos in dem Zimmer gelegen. Und wenn es draußen bereits dunkel war und Hal sie immer noch nicht befreit hatte, dann gab es dafür nur eine Erklärung: Er konnte es nicht.
    Sie wälzte sich auf den Rücken, schob die Hand in die Hose und befingerte ihren Slip. Normal. Weder nass noch klebrig. Sie betastete die Innenseite ihrer Schenkel. Keine Schwellungen oder schmerzenden Stellen. Sie berührte das weiche Fleisch an ihren Oberarmen und stöhnte auf. Ja, irgendwer hatte sie nach oben geschleppt – die Treppe hinauf. Plötzlich fiel ihr wieder ein, wie sie mit dem Hinterkopf immer wieder gegen etwas Hartes gestoßen war. Ob er mit Carmel Peach genauso verfahren ist?
    »Hal?« Sie drehte sich wieder auf den Bauch, legte die Hände trichterförmig an den Mund und schrie: »Hal? Josh? Könnt ihr mich hören?«
    Nichts.
    Sie presste das Ohr gegen den Boden und lauschte, hoffte, ein Lebenszeichen von ihrem Kind zu hören. Ja, sie lauschte mit der gleichen Intensität wie früher, als sie sehnsüchtig darauf gewartet hatte, dass das Kind in ihrem Schoß sich regte. Nur eine kurze Bewegung, und schon war sie wieder beruhigt gewesen.
    »Josh?«
    Nichts.
    O Gott – ringsum Totenstille. Sie rieb sich die Augen. »Josh!« Ihre Stimme klang hohl. Sie heulte wie ein verlassenes Kind. »JOSH? HAL?«
     
    Caffery bog von der Hauptstraße in den Donegal Crescent ein und bremste unvermittelt ab. Er ließ das Fenster herunter und schaute in den Abendhimmel hinauf.
    »Was war das für ein Geräusch?«
    »Was?«
    »Haben Sie nichts gehört?«
    Souness öffnete ebenfalls das Fenster und schob den Kopf ins Freie. Draußen war es inzwischen fast dunkel. Trotzdem waren noch ein paar Kinder mit ihren Fahrrädern unterwegs und spielten unter den Straßenlaternen. »Was meinen Sie denn?«
    Er schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.« Wieder lauschte er in den Abend hinaus. Doch er hörte nur die Musik, die irgendwo in der Nähe aus einem Fenster dröhnte, das Kindergeschrei und das ferne Zirpen der Grillen im Park.
    Du fängst allmählich an zu spinnen …
    »Jack?«
    »Hm. War nur’ne Einbildung.« Er schloss das Fenster wieder. »Nichts.«
    Er parkte den alten Jaguar neben einem städtischen Mülleimer, griff an Souness vorbei ins Handschuhfach und brachte eine Taschenlampe zum Vorschein. »Nur für alle Fälle. Vielleicht ist ja der Strom abgeschaltet.«
    »Mensch, Sie wären genau der richtige Mann für die Stadtwerke.«
    Die Häuser am Donegal Crescent wirkten merkwürdig verschlafen. Die Vorhänge waren zugezogen, die Fenster geschlossen. Fast schien es so, als ob die Bewohner vor der Wahrheit die Augen verschließen, nichts von den Schildern am Straßenrand wissen wollten, auf denen die Polizei um die Mithilfe der Bevölkerung ersuchte. Das Haus Nummer dreißig war irgendwie anders als die übrigen Häuser. Doch nicht etwa wegen der blauweißen Plastikbanderole der Polizei und auch nicht, weil vor dem Anwesen Arm in Arm ein Pärchen stand und andächtig die Fassade bestaunte. Nein, der Grund war vielmehr das Verbrechen, das dort geschehen war. Eine Putzkolonne der Polizei hatte das Haus inzwischen gereinigt und an der Tür ein neues Schloss angebracht. Über die Bezahlung konnte man später noch sprechen, falls das Ehepaar Peach eine Hausratsversicherung abgeschlossen hatte. Doch die beiden hatten sich noch nicht wieder blicken lassen, nicht mal, um irgendwelche Sachen zu holen. Dafür hatte jemand – wahrscheinlich Kinder – links von der Tür in schwarzen Lettern das Wort TROLL-HAUS an die Wand gesprüht.
    Als die beiden jetzt vor der Tür standen und Souness die Worte sah, trat

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