Die Behandlung: Roman (German Edition)
sie plötzlich nervös von einem Fuß auf den anderen, als ob ihr kalt wäre.
»Was ist los?«
»Ach – nichts.« Sie rieb sich die Nase. »Echt, alles in Ordnung.«
»Können wir?«
»Nur zu.«
Er brach das Siegel und öffnete die Tür mit einem Spezialschlüssel, den Sergeant Quinn ihm gegeben hatte. Keiner von beiden sprach ein Wort. In der Diele war es dunkel. Im Wohnzimmer fiel durch einen Spalt zwischen den Vorhängen von draußen gelbes Licht herein und hinterließ auf dem Sofa einen hellen Streifen. Caffery betätigte den Lichtschalter, doch nichts passierte. Das Haus hatte keinen Strom. Weiter hinten hörte man das Surren des Zählers.
»Hab ich’s nicht gesagt?«
»Ja, haben Sie.«
Er ließ den Strahl der Taschenlampe in der Diele umherwandern – die Treppe hinauf und an den Wänden entlang. Also hier ist es passiert . Ein kalter Schauder lief ihm über den Rücken. Er unterdrückte den Impuls, in das Wohnzimmer zu leuchten, um ganz sicher zu gehen, dass sich dort niemand versteckte. Die hellen Wände in der kleinen Diele waren mit zwei völlig falsch gehängten Seebildern geschmückt. Als er sich Richtung Küche bewegte, sah er in der Verglasung der Bilder kurz sein Gesicht und den Strahl der Taschenlampe aufblitzen.
Gleich hinter der Küchentür fand er den Zählerkasten. Er zog den Schlüssel heraus, mit dem sich der Strom aktivieren ließ, und schob ihn dann wieder in den Schlitz. Sofort kam Leben in das Haus. Der Eisschrank schaltete sich ein, das Licht in der Diele ging an, und Souness erschien blinzelnd in der Tür. Sie sah sich etwas ratlos in der gewöhnlichen gelb-weißen Küche um, wo auf der Arbeitsfläche noch der Toaster stand und auf dem Kühlschrank eine geöffnete Packung Coco-Pops. Die chemischen Substanzen der Spurensicherung waren noch überall zu erkennen: am Kühlschrank, an der Tür, am Fensterrahmen, überall feiner Staub, mit dem sich Fingerabdrücke nachweisen lie ßen; an den Tapeten violette Ninhydrin-Flecken, Silbernitrat an den Schränken. Der Duft der Ananas, die auf der Fensterbank in einer Schale lag, überdeckte den diffusen Blutgeruch. Souness und Caffery standen schweigend und betreten in der Küche und wagten kaum daran zu denken, was die Familie Peach in diesem Haus alles durchgemacht hatte.
Benedicte bebte am ganzen Körper. Sie war völlig fertig, das ständige Kreischen hatte ihr die letzte Kraft geraubt. Sie starrte auf ihren gefesselten Fuß, der in einem Segelschuh steckte. Nachdem sie aufgehört hatte zu kämpfen, herrschte plötzlich im ganzen Haus eine gespenstische Ruhe. Jetzt erst vernahm sie ein Geräusch, das sie in ihrer Panik bisher überhört hatte: ein erschöpftes Keuchen, das aus dem Wäscheschrank zu kommen schien …
»O Gott«, murmelte sie zitternd, »was, um Himmels willen …?«
Sie schob sich, so weit die Fessel es erlaubte, nach vorne und machte sich dann so lang, wie es nur ging. Das einzige Geräusch war das Reiben ihrer Hose auf dem Teppichboden. Schließlich erreichte sie mit den Fingerspitzen den unteren Rand der Schranktür und konnte sie mit letzter Kraft aufziehen.
»Oh …« An der rückwärtigen Schrankwand kauerte eine dunkle Gestalt. Benedicte bäumte sich auf und warf sich gegen den Heizkörper. »Smurf?«
Die dunkle Gestalt machte eine matte Bewegung.
»Smurf?«
Der alte Labrador rappelte sich mühsam auf und kam leise hechelnd näher. Der arme Hund war so erschöpft, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Er hatte die rechte Vorderpfote erhoben. Benedicte sah sofort, dass das Bein oberhalb des Knies gebrochen war und wie ein Pendel hin und her schwang. Der Labrador humpelte quer durch das Zimmer und ließ sich dann mit einem Seufzer direkt neben ihr zu Boden fallen. Oh, mein Gott, Smurf, was hat er nur mit dir gemacht? Sie strich mit der Hand über das Fell des Hundes, tastete sich an seinen knochigen Beinen nach unten, bis sie eine feuchte heiße Stelle spürte. Anscheinend hatte der Knochen das Fell durchstoßen und sich dann wieder nach innen verlagert. Als sie die Stelle berührte, fing Smurf an zu wimmern und versuchte, das Bein wegzuziehen.
Gebrochen. Dieser Dreckskerl hat ihr das Bein gebrochen.
Ein Mensch, der ein altes Tier wie Smurf so behandeln konnte, der würde auch nicht davor zurückschrecken, Josh zu quälen. »Oh, Smurf.« Sie vergrub den Kopf im Fell des Hundes. »Was ist hier bloß passiert? Was ist hier eigentlich los?« Smurf hob den Kopf und versuchte, ihr die Tränen vom
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