Die Beichte - Die Beichte - Dirty Secrets
zwar stabilisiert, war aber bedenklich. Sie konnte ihnen noch immer entgleiten.
»Wir haben einen Schlüsselring in ihrer Handtasche gefunden«, erklärte die Schwester. »Da steht ihr Kosename drauf: Geli.«
»Danke.« Mit der Akte unterm Arm steuerte Jo auf das Krankenzimmer zu.
Auf der Intensivstation blieb immer alles gleich. Tag und Nacht herrschte dort eine Atmosphäre kontrollierter Krisen. Ruhe, Wachsamkeit, Monitore - die IS kam Jo immer vor wie der Ausgangspunkt für die Mission eines Spezialkommandos.
Die Notaufnahme war das genaue Gegenteil. Aus ihrer Praktikantinnenzeit während des Studiums erinnerte sie sich noch gut an den Lärm, das Adrenalin und den abrupten Wechsel zwischen Hundebissen und Ertrunkenen, grippalen Infekten und Schusswunden. Die Notaufnahme verbreitete
Schrecken und Chaos. Die Intensivstation führte einen heimlichen Feldzug. Trotzdem starben dort mehr Menschen, weil nur Leute in schlechter Verfassung hierher verlegt wurden.
Und Geli Meyers Verfassung war verdammt schlecht.
Jo verharrte kurz in der Tür. Gestützt von ihrem Bett und an diverse Schläuche angeschlossen, glich die Patientin einem der Aliens in dem Versuchslabor aus Independence Day. Sie hatte EKG-Saugnäpfe an der Brust und eine zentrale Infusionsleitung unter dem Hals. Blasenkatheter, ein Drain an der Seite, Sauerstoffkanüle unter der Nase - sie erinnerte an einen Igel. Die Haut war blassgrau, das blonde Haar verklebt. Ihre Augen waren geschlossen.
Leise trat Jo an ihre Seite.
Sie legte der jungen Frau die Finger aufs Handgelenk. Der Puls fühlte sich stark und regelmäßig an. In der Hoffnung auf eine Reaktion streichelte sie ihr die Hand, doch das Mädchen blieb völlig reglos. Ihre Hand war kalt. Jo zog die Wärmedecke aufs Bett und wickelte sie ihr lose um die Beine.
Was ist mir dir passiert, Geli? Warum warst du zusammen mit Callie Harding im Auto? Womit soll Schluss sein?
Sie ging hinüber zum Spind und öffnete ihn. Die Schuhe und der Rock der jungen Frau. Kein Hemd, kein BH. Die hatten sie ihr wahrscheinlich in der Notaufnahme heruntergeschnitten. In einem Fach lag ihre Handtasche.
Jo spähte zur Tür hinaus. Die Empfangsschwester telefonierte gerade.
Jo war keine Polizistin, und sie besaß keinen Durchsuchungsbefehl. Wenn sie einfach die Habseligkeiten einer
Patientin durchwühlte, überschritt sie damit ganz klar eine Grenze. Aber sie wollte nichts stehlen, und Geli Meyer konnte nicht reden. Vielleicht konnten ihre Sachen für sie sprechen. Noch einmal blickte sie hinüber zur Schwester, dann öffnete sie die Tasche und holte alles heraus.
Rosa Lippenstift, Minzdragees, Feuerzeug, Einkaufsliste. Kein Handy. Sie klappte die Brieftasche auf, in der sie einen Führerschein, zwei Kreditkarten und achtzig Dollar in bar entdeckte.
Das einzige Foto zeigte einen Mann mit dem wettergegerbten Gesicht eines texanischen Farmers und einem Lächeln, so cool, als wollte er für Reservoir Dogs vorsprechen. Die Daumen hatte er in einen Gürtel mit einer riesigen silbernen Rodeoschnalle gehakt, die die Form eines Kasinochips hatte. Tarantino Gothic.
Älterer Bruder? Freund? Kein Name, kein Datum, keine Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen. Sackgasse. Sie legte alles wieder zurück.
Dann hob sie den schwarzen Rock auf und fand in der Tasche ein glattes Stück Papier. Es war ein CD-Booklet. Move Along von den All-American Rejects. Es präsentierte die Songtexte des Albums. Ein Lied war mit schwarzer Tinte umringelt.
Blinzelnd hielt Jo den Atem an.
Das Stück hieß »Dirty Little Secret«. Schmutziges kleines Geheimnis.
Sie kannte den Song, konnte im Kopf die kindlich spöttische Melodie und den verschwörerischen Ton des Sängers hören. Die letzte Zeile des Refrains war mit einem gelben Leuchtstift markiert: Who has to know? Wer muss es wissen?
Quer über die Seite zog sich eine hingekritzelte Notiz: Callie, das ist es, wovon du gesprochen hast, oder?
Und darunter: Darf man mitspielen?
Daneben ein Smiley.
Jo verglich die Handschrift mit der auf der Einkaufsliste. Sie stimmten überein. Erneut trat sie ans Bett. Die Patientin lag reglos und still.
»Geli, ich will Ihnen helfen. Können Sie auch mir helfen?«
Genauso gut hätte sie mit der Wand reden können. Eine Minute später gab sie die Krankenakte wieder in der Schwesternstation ab. Dann bat sie um eine verschließbare Plastiktüte, ein Klebeetikett und einen schwarzen Filzstift. Mit ihrem abgebrühtesten Doktorgesicht zückte sie das CD-Booklet der
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