Die beiden Seiten der Münze (German Edition)
und rieb ihren ganzen Körper mehrmals kräftig ab, konnte aber den Ekel über sich selbst nicht abwaschen. Völlig erschöpft warf sie sich aufs Bett und schlief das erste Mal seit langer Zeit ohne Fernseher ein.
Lynn träumte: Dieses Mal war es kein Albtraum, zumindest empfand Lynn ihn nicht so. Sie trieb mitten in einem dunkelgrünen Bergsee. Als sie die Mitte erreichte, wurde sie in einen Strudel gezogen. Der Sog zog sie unter die Wasseroberfläche und immer weiter hinunter. Lynn hatte nicht das Gefühl, zu ertrinken, sondern überließ sich einfach dem Wasserwirbel bis sie den Grund des Sees erreichte. Dort war es angenehm kühl und dunkel. Sie legte sich auf den Grund und genoss die Stille. Es war, als ob die ganze Außenwelt völlig ausgeschlossen wäre, als ob sie niemand hier stören würde. Lynn hatte den angenehmen Eindruck, als ob sie den richtigen Platz erreicht hätte, an dem sie für immer bleiben könnte. Nichts würde ihr hier passieren, hier war nichts schwierig, hier gab es keine Probleme mehr, nie wieder. Sie war das erste Mal seit langer Zeit froh.
Sie erwachte am nächsten Tag erst gegen Mittag und fühlte sich dennoch wie zerschlagen. Ihr war hundeelend zumute. Nach dem ersten Kaffee kam ihr Kreislauf wenigstens wieder ein wenig in Schwung. Sie musste dringend mit jemandem reden. Alex kam nicht infrage, er hatte sie ohnehin gewarnt und war schon entsetzt gewesen, als sie das erste Mal bei Cedric gewesen war. Also Therese. Sie griff nach ihrem Handy und rief an. Therese hob gleich ab: „Hi Lynn, so ein Zufall – ich wollte dich gerade anrufen! Was treibst du heute? Meine Mutter passt heute auf Lukas auf, er übernachtet auch bei ihr, ich habe also Zeit en masse.“
„Trifft sich gut“ brachte Lynn gerade noch heraus, dann fing sie wieder an zu weinen. „Um Gottes Willen, was ist denn los?“ Therese klang sehr beunruhigt. „Weißt du was? Du bleibst genau wo du bist, ich bin gleich bei dir.“ „Danke“ Lynn wusste sehr zu schätzen, dass ihre Freundin immer für sie da war, wenn sie sie brauchte.
Therese hatte nicht zuviel versprochen, kaum waren zwanzig Minuten vergangen, stand sie schon vor der Tür und läutete Sturm. Lynn öffnete. „Du siehst ja noch schlimmer aus als du klingst“ Therese betrat die Wohnung mit dem offensichtlichen Vorsatz, diesen Zustand zu ändern.
„Lass dich mal ansehen!“ Therese riss die Augen auf, sie hatte die Bissspuren an Lynn's Hals bemerkt. „Was ist das?“ Lynn wurde rot, fing an zu zittern und schließlich unkontrolliert zu weinen. Therese nahm sie in die Arme und streichelte ihren Rücken bis Lynn sich wieder beruhigt hatte. Dann wischte sie ihr mit einem Taschentuch das Gesicht trocken und schob Lynn Richtung Couch. „So jetzt erst mal Medizin.“ Therese förderte aus ihrer großen Handtasche eine Flasche Rotwein und eine Flasche Zirbenschnaps zutage. Sie steuerte die Küche an, holte zwei Wein- und zwei Schnapsgläser. Sie öffnete zuerst die Schnapsflasche. „Hast du heute schon etwas gegessen?“ Lynn verneinte. Anscheinend hatte Therese auf dem Weg zu Lynn noch einen kurzen Stopp bei einer Bäckerei eingelegt. Sie griff wieder in ihre Handtasche und zauberte ein eingepacktes Etwas hervor, welches sich als Croissant entpuppte.
Lynn wollte schon abwehren. Sie dachte, dass sie keinen Bissen essen könnte. Therese bestand jedoch darauf und zu ihrem eigenen Erstaunen kam mit dem Essen der Appetit. Nachdem Lynn das Croissant verputzt hatte, goss Therese die beiden Schnapsgläser voll. „Prost!“ Beide kippten den Schnaps hinunter. Lynn schüttelte sich, das schmeckte ja furchtbar und brannte die ganze Kehle entlang bis in den Bauch. „Gut, nicht wahr?“ Therese schien der Schnaps zu schmecken. Lynn musste zum ersten Mal grinsen: „Nein, eigentlich nicht, grauenhaft trifft es eher.“ „Dann hast du noch nicht genug davon“ Therese schenkte nach. „Das ist verordnete Medizin, der wird jetzt noch getrunken“ befahl sie streng. „Also Prost!“ Er schmeckte genauso scheußlich wie das erste Glas. Aber sie fühlte sich ein wenig besser.
Therese wickelte Lynn in eine Decke, setzte sich neben sie und fragte: „Okay, also was ist passiert?“ Lynn überlegte, bis zu welchem Zeitpunkt ihre Freundin noch informiert war. „Du erinnerst dich doch an den Kerl, der das Buch geschrieben hat, Cedric?“
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