Die beiden Seiten der Münze (German Edition)
schien sich aber wirklich Sorgen um sie zu machen und das tat Lynn leid. „Okay, ich mach's, du Quälgeist“ versprach sie. „du wirst ihn mögen, er ist ein sehr einfühlsamer und verständnisvoller Mensch“ schwärmte Therese.
Nachdem Lynn versprochen hatte, den Therapeuten aufzusuchen, wirkte Therese etwas beruhigt. Sie dachte anscheinend, dass sie die Angelegenheit in kompetentere Hände übergeben konnte. Um ganz sicher zu gehen, suchte sie am Handy die Telefonnummer heraus und schrieb sie auf ein Blatt Papier. „So, jetzt ruf an und mach einen Termin aus.“
Lynn hatte befürchtet, dass Therese nicht locker lassen würde bis sie ganz sicher war, dass Lynn auch tatsächlich ihr Versprechen halten würde. Also wählte Lynn die Nummer und ließ sich von einer freundlichen Dame einen Termin geben. Der nächste freie Termin war schon am nächsten Vormittag um zehn Uhr, es war jemand wegen Krankheit ausgefallen. Lynn war überrascht, dass das so schnell gehen sollte, sie hatte eigentlich damit gerechnet, dass es einige Wochen dauern würde bis ein Termin zu haben war. Bis dahin wäre ihr vielleicht eine passende Ausrede eingefallen, um den Termin wieder abzusagen.
„Na, bist du jetzt zufrieden?“ Lynn grinste ihre Freundin an und zeigte ihr die Zunge. „Ja, wenn du mir schwörst, dass du sicher hingehst.“ „Ich schwöre, okay?“
Therese war wie immer hartnäckig. Sie war noch nicht dazu bereit, dass Thema Cedric unter den Tisch fallen zu lassen. „Wie gut kennst du ihn eigentlich? Was weißt du von ihm? Hast du eine Ahnung, warum er das macht, das mit den Bissen meine ich?“
„Nein. Das heißt, er hat mir schon eine Erklärung dafür geliefert. Mit der kann ich aber nicht wirklich viel anfangen. Er sagt, dass das Trinken meines Blutes etwas ganz Besonderes sei, viel intimer als reiner Sex. Außerdem will er „nur mein Blut“ trinken. Er hat heute auch etwas von Beziehung gesagt. Er meint, dass ich ihn liebe.“
„Aha. Und weil er glaubt, dass du ihn liebst, tut er dir weh?“
Lynn überlegte: „Weißt du was wirklich pervers ist? Dass ich glauben will, dass das über reine Bedürfnisbefriedigung hinausgeht. Dass ich mich gefragt habe, ob es nicht wert ist, die Bisse auszuhalten. Obwohl es weh tut, geben sie mir dennoch das Gefühl etwas Besonderes zu sein. Logisch betrachtet weiß ich natürlich, dass ich das nicht zulassen sollte. Es ist abartig und pervers – vielleicht bin ich einfach pervers? Ich weiß gar nichts mehr.“
„Nur weil jemand sagt, dass Gefühle im Spiel sind – von welcher Seite auch immer - heißt das noch lange nicht, dass es so ist. Du bist etwas Besonderes, dazu brauchst du dich nicht beißen lassen. Würdest du genauso reagieren, wenn er dich schlagen würde? Wo ist für dich die Grenze? Ganz wichtig: hast du wirklich Gefühle für ihn? Dazu hast du noch kein Wort gesagt. Es geht immer nur darum was er sagt, wie er agiert. Du reagierst maximal.“
Lynn hatte sich diese Frage noch gar nicht gestellt. Sie wusste es einfach nicht. „Ich habe keine Ahnung. Ich weiß so gut wie nichts von ihm. Ich habe keine Ahnung, ob er Familie hat oder nicht, ob er schon einmal verheiratet war, ich weiß nichts über seine Vorlieben und Abneigungen. Nicht mal, wie alt er ist. Das kann ich bloß schätzen. Ob ich Gefühle für ihn habe? Kann man etwas für jemanden fühlen, den man eigentlich gar nicht kennt? Ich weiß nur, dass er irgendwie mit mir macht was er will. Wenn ich mir vorstelle, dass er plötzlich nicht mehr da ist, dann fühle ich eine Mischung aus Erleichterung und absolutem Horror.“
„Das klingt mehr nach Abhängigkeit als nach Liebe“ sagte Therese. „Wie eine Droge.“ Lynn lachte in einem Anflug von Humor auf: „Wie wäre es mit einem Dämon? Vielleicht brauche ich nur einen guten Exorzisten?“ Therese grinste und boxte Lynn freundschaftlich in die Seite. „Ja, den könntest du wirklich gut brauchen.“
Den Rest des Tages verbrachten die beiden mit Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend. Sie lachten und Lynn fühlte sich das erste Mal seit langem wieder rundum wohl. Bis das Telefon läutete und ihre Mutter am Apparat war. Der Klang ihrer Stimme wirkte wie eine kalte Dusche. „Lynn? Lebst du noch? Hier spricht Deine Mutter.“ Als ob darüber irgendwie Unklarheit bestanden hätte. „Hallo Mom. Ja, ich lebe noch und ja, ich weiß wer da spricht.“ „Kein Grund patzig zu werden. Ich nehme an, du hast
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