Die beiden Seiten der Münze (German Edition)
bleiben.
Lynn deckte den Tisch und ihre Mutter servierte das Essen. Zuerst eine Gemüsesuppe, dann einen Braten und Kartoffel, als Beilage gemischten Salat. Lynn hatte keinen Appetit und aß nur so viel wie nötig war, um ihre Mutter nicht zu beleidigen. Das Gespräch dümpelte dahin bis ihre Mutter begeistert sagte: „Weißt du wer mich angerufen hat? Martin!“ Sie erwartete anscheinend ein begeistertes Feedback von ihrer Tochter. „Er hat mir zum Geburtstag gratuliert, das ist so aufmerksam von ihm!“ „Hm“ murmelte Lynn „sehr aufmerksam.“ Sie starrte auf ihren Teller und zwang sich, den Mund zu halten. „Es scheint, dass er sich beruflich weiterentwickelt hat, jetzt wo er sich nicht mehr um dich kümmern muss. So etwas schränkt natürlich schon ein.“
Lynn wäre geplatzt, wenn sie jetzt nicht etwas sagte: „Was meinst du mit - so etwas“ „Naja“ erwiderte ihre Mutter „man sagt doch immer: hinter einem erfolgreichen Mann steht eine erfolgreiche Frau. Du konntest ihn natürlich nicht so unterstützen wie er es gebraucht hätte. Aber jetzt kann er sich vermutlich mehr entfalten, er hat eine neue Partnerin, die ihm zur Seite steht.“
„Du weißt schon, dass das eine der Frauen ist, mit der er mich betrogen hat?“ Lynn wusste genau, dass sie am besten gar nichts dazu gesagt hätte. „Du bist schrecklich nachtragend, ich verstehe gar nicht wieso du nie ein gutes Haar an diesem Mann lassen kannst. Du warst schon immer so, deshalb hast du ihn wahrscheinlich auch verloren. Da wäre jeder Mann davongelaufen.“ Ihre Mutter klang beleidigt.
Lynn sah sie an. Obwohl sie das gar nicht wollte, sammelten sich Tränen der Wut in ihren Augen. „Du hast keine Ahnung, was in unserer Ehe los war, gar keine Ahnung!“ ihre Stimme steigerte sich zum Schreien. „Ihr beide passt ja wunderbar zusammen, da haben sich zwei gefunden! Was glaubst du eigentlich was du da machst? Ist dir schon ein einziges Mal in Deinem selbstgefälligen Leben der Gedanke gekommen, dass es auch seine Schuld gewesen sein könnte, dass unsere Ehe nicht funktioniert hat? Hast du dich schon einmal gefragt, wie es mir bei all dem gegangen ist? Weißt du was? Ich scheiße auf Martin, ich scheiße auf Deinen Geburtstag und auch auf dich!“ Lynn sprang auf, riss ihre Handtasche an sich und rannte aus der Wohnung. Den entsetzten und erstaunten Gesichtsausdruck ihrer Mutter bemerkte sie gar nicht mehr.
Lynn war unglaublich wütend auf ihre Mutter aber noch viel mehr auf Martin. Es sah ihm ähnlich, sich bei ihrer Mutter einzuschleimen. Er wusste genau, welche Art Mensch ihre Mutter war und konnte sich ausrechnen, dass sie Lynn in den Wahnsinn treiben würde. Aber am stärksten war die Angst davor, dass er wirklich einen Weg finden würde, um ihr das Zuhause, die Wohnung ihrer Großeltern wegzunehmen. Geld war kein Thema für ihn, da ging es nur darum, Lynn zu demütigen. Sie beeilte sich nach Hause zu kommen. In ihren vier Wänden konnte sie besser nachdenken.
Als Lynn ihre Wohnungstür aufsperren wollte, fand sie diese unverschlossen vor. Ratlos blieb sie davor stehen. Wenn es sich um einen Einbruch handelte, dann war es vielleicht gefährlich, einfach hineinzugehen. Falls der Einbrecher noch da war, konnte das ziemlich schief gehen. Unschlüssig darüber, ob sie die Polizei gleich rufen oder zuerst leise hinunter auf die Straße gehen und das Telefonat dort erledigen sollte, stand sie am Gang. Da hörte sie zuerst jemanden eine Melodie pfeifen, dann auch Musik aus dem Radio aus ihrer Wohnung. So etwas würde ein Einbrecher doch nicht machen, oder? Die versuchten doch immer möglichst leise zu sein. Zumindest war das im Fernsehen so. Lynn drückte sanft gegen die Tür und machte ein paar vorsichtige Schritte in ihr Vorzimmer.
„Hallo, komm rein“ ertönte Cedric's Stimme aus dem Wohnzimmer. „Wie bist du hier herein gekommen?“ fragte Lynn als sie den Raum betreten hatte. Sie stellte ihre Handtasche am Boden neben der Couch ab. Er trug ein altes dunkelblaues Sweatshirt mit der Aufschrift „The Clash“, wieder seine zerrissene Jeans und die alten Converse. Sein Haar war wirr wie immer. Gemütlich lag er auf der Couch und blätterte in einer Fernsehzeitschrift.
„Du hast vergessen, zuzusperren. Da hätte weiß Gott wer daherkommen und es sich in Deiner Wohnung gemütlich machen können.“ Er grinste. Lynn fand das überhaupt nicht komisch. „Ist ja auch passiert, nicht wahr?“ meinte sie
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