Die beiden Seiten der Münze (German Edition)
zynisch. Cedric überging es: „Was ist mit dir los?“ fragte er. „Du hast geweint.“ Das war eher eine Feststellung.
„Nichts Wichtiges“ wehrte Lynn ab. Cedric seufzte: „Müssen wir Spielchen spielen? Du weißt dass da etwas ist, ich weiß es auch. Also?“ „Ich war heute schon beim Therapeuten, dazu brauche ich dich nicht.“ Lynn klang schnippisch aber das war ihr momentan egal. „Was machst du denn bei einem Psychodoktor?“ wollte Cedric wissen. Lynn hatte das gar nicht erwähnen wollen, sie konnte ihm unmöglich sagen, dass es unter anderem um ihn ging.
„Egal, ich will nicht darüber reden. Deshalb hab ich auch nicht geweint.“ „Warum dann?“
Lynn erzählte von dem Gespräch mit Martin und der Reaktion ihrer Mutter. Cedric wurde ernst: „Es gibt Dinge, die werden gesühnt“ meinte er etwas kryptisch. „Gesühnt? Was soll das heißen?“ wunderte sich Lynn. „Klingt wie ein Zitat aus dem alten Testament.“ Cedric antwortete nicht. Sie saßen nebeneinander auf dem Sofa und hörten der Musik aus dem Radio zu. Die Atmosphäre zwischen ihnen wirkte eigenartig vertraut, das war das erste Mal, dass Lynn das so empfand. Doch dieser Moment war bald vorbei als er ihre Hand nahm. Der körperliche Kontakt weckte Erinnerungen, die nicht nur angenehm waren. Eigentlich erwartete Lynn, dass der Abend so enden würden wie die vorherigen, mit einem Biss. Cedric behielt jedoch nur ihre Hand in der seinen und streichelte ihren Handrücken mit seinem Daumen. Lynn sah auf seine Hand und dachte, dass ihm eine Maniküre auch nicht schlecht täte, seine Finger waren voller Tintenflecke, seine Fingernägel etwas zu lang und nicht sehr sauber.
Plötzlich stand er auf und sagte: „Komm, ich bringe dich ins Bett. du solltest schlafen. Ich muss jetzt los.“ „Wohin gehst du?“ „Ich habe noch zu tun, muss noch arbeiten. Ich komme morgen wieder vorbei, okay?“ Wie ein kleines Kind führte er Lynn ins Schlafzimmer, entkleidete sie und zog ihr das Schlafshirt über den Kopf. „So, jetzt wird geschlafen“ murmelte er leise und drehte den Fernseher auf. Er deckte sie zu und gab ihren einen sanften Kuss auf die Stirn. Sie hörte noch sein „Gute Nacht“, dann war er weg.
Lynn war verwirrt. Das entsprach gar nicht seinem bisherigen Verhalten. Was hatte sich geändert, was war anders? Während sie darüber nachdachte sank sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Das beharrliche Läuten ihres Handys riss sie aus dem Schlaf. Lynn tastete nach dem Telefon und nahm das Gespräch entgegen. Die Nummer war ihr fremd. „Ja bitte?“ „Guten Morgen, hier spricht die Bundespolizeidirektion, mein Name ist Vanek. Spreche ich mit Frau Monahan, Lynn Monahan?“ „Ja.“ Lynn hatte keine Ahnung, was der Mann von ihr wollte. „Stimmt es, dass es sich bei Martin Aigner um ihren Exmann handelt?“ Lynn bejahte. „Wieso, was ist denn los?“ „Das sollten wir besser nicht am Telefon besprechen“ sagte er. „Können Sie heute Vormittag aufs Kommissariat kommen. Verlangen Sie einfach nur nach Inspektor Vanek, man bringt Sie dann zu mir.“ Er gab ihr die Adresse, dann beendeten sie das Gespräch. Lynn hatte kein gutes Gefühl bei der Sache, die Polizei bedeutete immer Ärger. Was wollte Martin schon wieder von ihr? Sie hatte doch nichts verbrochen?
Schnell stand sie auf, zog sich an und machte sich auf den Weg. Nach einer guten Viertelstunde war sie da und fragte nach Inspektor Vanek. Ein junger Beamter in Uniform ersuchte sie, sich kurz zu setzen. Der Inspektor war noch in einer Besprechung, würde aber bald zu ihr kommen. Lynn nahm auf einem der orangen Besuchersessel Platz. Ihr gegenüber war eine große Tafel mit Sicherheitstipps gegen Einbrecher für Hausbesitzer, Einberufungslisten des Bundesheeres und einige Ankündigungen. Lynn war gerade dabei sich die Texte auf der Tafel durchzulesen, um sich die Wartezeit zu verkürzen als ein dicker, großer Mann mit einem leicht watschelnden Gang auf sie zukam. Er hatte dünnes graubraunes Haar und eine kahle Stelle am Hinterkopf. Er schwitzte, das konnte man am dunklen Rand seines Hemdkragens sehen obwohl er seine braun und beige gemusterte Krawatte gelockert hatte.
„Frau Monahan?“ Er hielt ihr seine Hand, die eher einer Pranke ähnelte, hin. „Darf ich Sie weiter bitten?“ Inspektor Vanek wirkte ganz sympathisch und entgegenkommend. Der schlaue Ausdruck in seinen Augen verriet jedoch, dass man ihn keineswegs unterschätzen
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