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Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern

Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern

Titel: Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Standiford
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umarmen, hättest Du sie früher ab und zu mal in die Wange kneifen sollen. Nicht dass uns das Spaß gemacht hätte.
    Ich trauerte um den guten Wallace. Jemanden, der Blumen züchtet, muss man doch einfach mögen, oder? Er war der einzige Großvater, den ich überhaupt gekannt habe. Doch er war so ruhig, dass er eher ein zusätzlicher Arm von Dir zu sein schien als ein Großvater.
    Am Ende der Beerdigungsfeier brach Norrie – die angespannt gewesen war – beim Verlassen der Kathedrale plötzlich in Tränen aus. Zwischen dem Nervenbündel Sassy und der nun schluchzenden Norrie kam ich mir hartherzig vor. Es tat mir ja leid, dass ich nicht am Boden zerstört war. Aber was sollte ich tun, heucheln?
    An dem Tag, als Wallace starb, fing Sassy zu weinen an und hörte eigentlich nicht mehr auf. Ihr Zimmer liegt neben meinem und ich konnte sie durch die Wand wimmern hören. Am Abend nach der Beerdigung ging ich zu ihr rüber. Sie lag bäuchlings auf dem Bett und schluchzte.
    Ich rieb ihr über den Rücken. »Warum nimmt dich das mit Wallace so mit?« Ich wollte es wirklich verstehen. Sicher, er war ein netter Mann und Sassy hatte ihm nähergestanden als sonst eine von uns, aber ich konnte ihre Reaktion trotzdem nicht nachvollziehen. »Weißt du, er war doch schon ziemlich alt.«
    Das brachte sie nur noch mehr zum Weinen. Ich wusste nicht, was ich sonst zu ihr sagen sollte. Als ich fünf war und meine Kindergärtnerin starb, tröstete mich Miss Maura damit, dass Ms Seipp nun vom Himmel auf mich herabschaue und ich nicht traurig zu sein brauche, denn sie sei dort sehr glücklich. Doch damit konnte ich Sassy jetzt, da ich offiziell nicht mehr an den Himmel glaubte, nicht aufmuntern. Allmählich begreife ich, wie nützlich die Vorstellung vom Himmel sein kann – selbst wenn er nicht existiert. Ohne Himmel fiel mir nichts ein, was ich sagen konnte. Und so weinte und weinte und weinte sie, und alles, was ich tun konnte, war, ihr den Rücken zu streicheln, während sie ihr Kissen mit Tränen durchnässte.
    Da ich nun mal ich bin, musste ich trotzdem wenigstens einen Versuch starten. Ich kann es nicht ertragen, wenn sie weint.
    »Da es keinen Gott gibt, existiert auch der Teufel nicht«, sagte ich. »Damit wissen wir zumindest, dass Wallace nicht in der Hölle schmort.«
    Sie ließ eine Art Schrei in ihr Kissen ab und schlug mit der Faust aufs Bett.
    »Was du über Gott sagst, ist nicht wahr.« Sassy würgte die Worte hervor. Ihr Gesicht war ganz rot. »Es gibt einen Gott. Es muss einen geben. Außerdem hat er mich aus irgendeinem Grund untötbar gemacht.«
    »Was?« Es dauerte einen Moment, bis ich die Bedeutung ihrer Worte begriff. »Sag mal, bist du schon wieder von einem Auto angefahren worden?« Ich strich ihr das Haar zur Seite, um nach Kopfwunden zu suchen. Sie gab keine Antwort. »Warum sollte Gott dich untötbar machen und Wallace nicht?«
    »Ich weiß nicht!«, brach es aus ihr heraus. »Das macht mich ja so verrückt.«
    »Das mit der Verrücktheit kannst du laut sagen«, witzelte ich, aber sie lachte nicht. Sie heulte bloß weiter. Ich blieb bei ihr, bis sie sich in den Schlaf geweint hatte, so, wie Takey es als Baby getan hatte.
    Nachdem Sassy eingeschlafen war, ging ich nach unten, um ein Glas Milch zu trinken. Das Haus war ruhig, doch als ich bei Daddy-o Licht sah, trat ich in sein Arbeitszimmer, um ihm eine gute Nacht zu wünschen.
    Er saß mit dem Rücken zur Tür an seinem Schreibtisch und betrachtete ein Bild so konzentriert mit einer Lupe, dass er mich nicht hereinkommen hörte.
    »Was machst du da, Daddy-o?«, fragte ich.
    Er drehte sich um und lächelte mich an. »Hi, Janie. Schau mal – da ist deine Lieblingsheilige.« Er rückte mit dem Stuhl zur Seite, damit ich den Druck sehen konnte, den er betrachtet hatte: ein junges Mädchen in Rüstung – die heilige Johanna von Orléans –, das mit einem Wimpel an einer mittelalterlichen Stadt vorbeiritt. Für jemanden, der in die Schlacht ritt, wirkte Johanna erstaunlich ruhig und glücklich. Selbst das Pferd grinste erwartungsvoll.
    »Es ist eine Miniatur aus einem Manuskript um 1505«, erklärte Daddy-o.
    Ich setzte mich auf den Stuhl, den ihm das St. John’s College geschenkt hatte. Die Drucke mittelalterlicher Ikonen und gerahmte Familienfotos in seinem Arbeitszimmer ergeben eine sonderbare Mischung. Neben einem einfachen Kupferstich von Maria und dem Jesuskind hängt eine Farbfotografie der jungen Ginger, die sich Baby Sully mit einem

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