Die Belagerung der Welt - Romanjahre
beide nur halb behütet heran. Seine Eltern waren Diplomaten im Ausland, mein Vater war tot, anstelle einer Familie die Studentenpension, das Frauenhaus. Neulich in Genf dachte ich an unsere Radfahrt zu seiner Genfer Tante, die wir radelnd Tante Knarke/Knarke nannten. Sie wohnte nobel in der Genfer Altstadt, wo sie uns beherbergte. Hohl kam aus einer Art Oberklasse, ich aus unklaren Verhältnissen. Er kannte keine Geldsorgen, er hatte seinen Monatswechsel; ich verdiente mir mein Taschengeld mit Freizeit- und Ferienjobs. Beide heirateten wir früh, beide als Studenten. Er wurde wie der Vater Diplomat, später Botschafter wie jener. Ich studierte als Werkstudent und verlor nie die innere GewiÃheit oder den tiefen Wunsch nach Dichterleben aus den Augen, bei allen Beschwerungen nie. Ich diente mich in harten Anläufen an meine Sache heran. In seinen Augen mochte es aussehen, als nähme ich das verflixte Kreuz auf mich. Während er ein heimlicher Schreiberling blieb, neben seiner Karriere, die ihn in gesellschaftliche Kreise entführte, die mir suspekt waren. Irgendwie mochte es so aussehen, als föchte ich für uns beide den Kampf aus. Wir entfernten uns und blieben innerlich unverbrüchlich geeint. Geeint? Ich nahm ihm sein Blendertum übel, das ja nur tiefe Konflikte überglänzte. Oder verbarg. Sein Gelächter übertönte und kaschierte etwas wie Verrat. Das war viel später. In der Schule, als wir uns der Matura und dem Eintritt ins Freie näherten, teilten wir dasselbe Wünschen, dasselbe GroÃhabenwollen des Lebens. Er bot mir in meinen klandestinen Verunsicherungen Schutz an. Ich war ausgesetzt, er war ein Prätendent mit Absicherungen. Wir waren ein Brüderpaar. Wir hatten uns erwählt. Wahlverwandte waren wir. Und blieben es im Inneren.
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Neulich mit Igor auf die Frage gestoÃen, wie ich zu dem Entscheid für die Kunstgeschichte gekommen bin. Genau wie Boris spielte ich mit dem Gedanken oder besser der Versuchung, das Gymnasium vorzeitig zu verlassen, weil ich (wie er) leben wollte und die Schule mich von dem Leben ausschloÃ, wie ich meinte. Allerdings wollte ich ein Dichterleben führen in der vagen Ãberzeugung, daà sich in einem solchen sowohl Freiheit und allergröÃte Selbstverantwortung verheiÃe wie das Instrument verberge, dem Leben auf die Spur zu kommen, was wiederum hieÃ, sich dem Leben einzuschreiben und schreibenderweise zu nähern und zu vergewissern. Es ging überhaupt nicht um Boheme, sondern um einen Feldzug in einem van Goghschen Sinne. Um entsprechende Welteroberung. Die künstlerische Arbeit wäre die Wünschelrute auf der abenteuerlichen Reise.
Es ist vielleicht auch interessant anzumerken, daà bei den Ãberlegungen zu einem möglichen Studienweg die pekuniäre Seite, die Frage nach dem Gelderwerb überhaupt keine Rolle spielte. Warum dachte ich ausschlieÃlich an Selbstverwirklichung? Von zu Hause war materiell ja nichts zu erwarten. All das bleibt dunkel. Vermutlich stand tief in mir drinnen die Richtung und Ausrichtung fest, und die hieà Dichter.
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Meine Mutter. Ich sage immer, daà ich mir keiner Zärtlichkeit bewuÃt bin, sozusagen keiner Berührung, und dies vom Kleinkindesalter an. Ich frage mich, ob diese Vorstellung zutrifft oder Einbildung ist. Daà ich äffisch verwöhnt worden bin, wie mir meine Schwester vorsagt, mag stimmen oder zutreffen und ist mir vage erinnerlich. Ich sehe meine Mutter als junge Frau mit den Pensionären nicht gerade schäkern, jedoch spaÃen. Sie muà für Komplimente empfänglich gewesen sein. Ich sehe sie als eine Art schöne modische Frem
de, wenn sie von ihren Parisbesuchen zurückkam, von Onkel und Tante Bléreau. Ich sehe sie streng mit unseren Mägden verfahren, wenn diese einen Fehltritt begingen, die eine hatte sie bestohlen, Mutters Schmuck war verschwunden. Ich sehe sie auf dem Gemüse- und Fleischmarkt, einkaufen. Mutter wurde mit Ehrerbietung behandelt. Sie war ja auch eine Frau Doktor und hielt darauf, so genannt zu werden. Sie war eine stattliche Erscheinung und geachtete Dame. Innerlich war sie wohl eine Träumerin, ich denke, sie lebte andauernd und vor allem später in Jungmädchenträumen. Sie erzählte auch gerne von ihren Schulzeiten, von Lehrern, Ausflügen. Sie war ein Schwarmgeist. Auch am Klavier schien sie in schwärmerischen Träumen schwebend,
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