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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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her, womit beschäftigte er sich? Er erfand irgendwelche Heilmittel, soviel ging eben gerade in meinen Kinderkopf. Die berufliche Beschäftigung blieb weitgehend unerklärlich. Und damit seine soziale Stellung und Geltung. Mein Vater war kein Mensch zum Anfassen, auch nicht zum Bewundern und Liebhaben. Er führte ein von uns abgehobenes Eigenleben im Hause. Weder Auseinandersetzung noch Auflehnung, kaum Gespräche, keine Hilfe, keine Führung, keine Züchtigung, keine wirkliche Nähe. Auch keine Furcht. Ehrfurcht? Ein aus den Wünschen eingegebenes Bewundern vielleicht, ein Bewundernwollen, ja wofür denn? Für seine stille und noble (?) Erscheinung. Ganz wenig nähergebracht haben ihn mir die Lauterburgs, die ihn manchmal, als er schon krank war, im Rollstuhl abholten und in ihr schönes Haus mit Garten brachten. Die Lauterburgs, Bruder und Schwester, angesehene Berner, und wenn er sich im schönen Garten mit ihnen und möglicherweise weiteren Gästen unterhielt und ich zufällig zu ihnen stieß oder mir Einlaß verschaffte, sah und spürte ich, daß mein Vater hier nicht nur Ehrerbietung, sondern eine Art Bewunderung genoß. Die Lauterburgs waren gebildete Menschen und begütert und ansehnliche, eindrückliche Personen, der Mann ein bekannter Maler phantastischer Richtung, die Schwester Romanistin. Im Garten wurde diskutiert und philosophiert und politisiert, und hier kam Vater nicht nur zu Wort, sondern bildete den Mittelpunkt. Viel später, lange nach Vaters Tod, sagte mir der Maler, ein Koloß, mein Vater sei der genialste Mensch gewesen, der ihm je begegnet war. Und Martin Lauterburg
war kein Provinzler, sondern hatte in der Münchner Boheme oder Künstlerwelt der Vorkriegszeit eine Rolle gespielt, und Bruder und Schwester, beide unverheiratet, hatten über das Bernische hinausgehende, internationale Beziehungen und Ausrichtungen. Sie waren der einzige väterliche Hintergrund, den das Kind meines Namens als Augenunterricht erfahren durfte. Nebst spärlichen fragmentarischen Bildern, Momentaufnahmen: wenn er uns in dem großen Wagen in die Ferien fuhr und gleich wieder abreiste. Wenn er den Wagen in die Garage fuhr und mich einsteigen ließ und wir beide Hand in Hand zu Fuß nach Hause spazierten.
    Doch das alles gehört in die erste Kindheit und bildete das armselige Material an Vatererlebnissen, aus welchen ich mir das Andachtsbild des fernen und bestimmt nicht verächtlichen Erzeugers zusammenklitterte, ein Bild, das an Bedeutung immer zunahm und der Pol innerer Ausrichtung, vor allem auch im Zusammenhang mit russischen Dichtern und der dazugehörigen S eeee le wurde. Der Vaterverlust machte mir zu schaffen – ich war von Stund an unfähig, dem Unterricht zu folgen, und mußte das Schuljahr repetieren.
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    Es ist auf jeden Fall eine altmodische Geschichte. Das Ankommen der Familie in Rom im Februar, einem Februar zur Regenzeit, diluviale Verhältnisse. Die kleinen Kinder, die jungen oder blutjungen Eltern, die sich in eine Cafébar Nähe Institut, Via degli artisti, wagen, Neulinge, fast Einwanderer. Marco Albisetti hat uns, glaube ich, empfangen und irgendwie eingewiesen, auch in Grottaferrata eingewiesen. Grottaferrata die Familienunterkunft in einem Mietshäuschen, das ich über Michael Stettler, meinen Vorgesetzten am Museum, vermittelt bekommen habe. Er hat mich dann ja auch bald besucht, wir schauten uns in einem Kino Kapò an, und draußen, als wir uns trennten, der Direktor und sein ehemaliger Assistent, mußte ich mich erst an das (mir fremde) römische Tageslicht gewöhnen, um von der mit meiner Verpflanzung zusammenhängenden Verstörung ganz zu schweigen, weil die Verstörung durch das im Kino erlebte KZ vervielfacht war. Mir war, als sei ich dem KZ entkommen, wo war ich, wer war ich, und dann sah ich die junge Maria in ihrem roten Regenmantel vorbeigehen und lief ihr nach. Lief ihr nach, und nun kam das Albergo oder heißt es der Albergo?, das Hotelzimmer, in welchem wir nur kosten und nicht miteinander schliefen, wir traten in das von den Umarmungen vorgegaukelte Versprechen, ich in eine Verzauberung, ein, und da hätte die Episode enden müssen, denn mehr war nicht drin. Ich wäre ins Institut und zu meinem Vorhaben zurückgekehrt, wenn ich nur ein Vorhaben gehabt hätte, stattdessen hatte ich nur diese gefährliche Freizeit spendiert bekommen, den Römer

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