Die Belagerung der Welt - Romanjahre
Aufenthalt. Und ich trat in die Geschichte meiner tiefen Verunsicherung ein, es war ja die Gunst eines neuen Lebensanlaufs, den mir das Stipendium und das von Gönnern spendierte Geld offerierten, ich in Rom, in raren Momenten mit dem Hochgefühl eines Rastignac, eines Welteroberers. Nur hatte ich in Wirklichkeit keine Stelle, keine gesellschaftliche Position mehr, kein Einkommen, kein bürgerliches Weiterkommen, wenn erst das Romjahr abgelaufen und Stipendium verbraucht wären. Nur wuÃte ich es nicht. Ich war in Rom, um den Schriftsteller in mir ausschlüpfen zu lassen, war die Erwartung der in Bern Zurückgelassenen. Und ich hatte wohl eine fürchterliche Angst des Versagens, ich war der deklarierte Hochstapler. Und nun griff ich nach der ersten sich bietenden Möglichkeit einer anderen Lebenswahl, und zwar in Gestalt von Maria.
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Ich frage mich, was der Zauber, was die Anziehung war, die mich 1960 so weit gehen hieÃ. Ich muà nicht nur geblendet, sondern überwältigt gewesen sein von ihrer Schönheit oder Lieblichkeit, den Augen, dem Mund, der Haut. Es gilt ja eine Schallmauer der Fremdheit zu durchbrechen. Und wichtig ist die Fremdheit der anderen Sprache, der anderen Herkunft und damit der anderen Geschichte: der Hintergrund. Ich trete aus dem Munde der Schönen, wenn sie meinen Namen ausspricht mit ihrer nur ihr zugehörigen Stimme, die die andere Sprache spricht. Das Angenommenwerden, das Empfangensein. Es ist wie Taufe, wie auf die Welt kommen. Genau dasselbe geschah mit Antonita in Barcelona. Und im Grunde war es schon mit Brigitte der Fall. Was wäre die alles Denkbare übersteigende Wundermacht solcher Erhörung ? Was wäre die aus der Tiefe quellende Dankbarkeit, vermischt mit Ungläubigkeit? Ist die Frau dank ihrer Schönheit und mit der Macht der Liebe nicht nur die Erlöserin (aus dem Mangelnden), sondern geradezu die Erfinderin deiner selbst, und zwar als vollwertiges Mitglied der Menschheit, als Mitmensch? Mann? Die Geburt des Mannes aus den Netzen der Liebe. Oder den Schleiern, Harmonien der Liebe? Ich deliriere.
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Zu Gerd Hoehme fällt mir ein: das Spechtgesicht, die leicht mörtelige Haut, das umsichtig freundlich Verhaltene, das Gran Abgewandtheit und die groÃe Portion tief angelegter Güte. Die Feinheit, die fast über Paul Klee hinausgehende Sensibilität, Kostbarkeit seiner Veranlagung. Er ist ein hochgradiger Ãsthet im Gewande eines modernen hinterfragerischen Geistes, und es spukt ein Gran Sentimentalität durch sein Wesen. Der Begriff Lauterkeit gehört dazu. Und die schnellen Wagen, die er fährt, der einstige Kriegspilot, der mehrmals abgeschossen, verletzt und gefangengenommen
worden ist. Und der den Krieg, ich weià nicht wie, losgeworden ist mit einem Abwerfen der Uniform? die er gleich mit dem Kittel des Malers vertauschte. Er hat kaum vom Krieg gesprochen, er war Flieger und sogar Staffelkommandant gewesen, glaube ich. Er stammt aus der Nähe von Dessau. Er hat Celan gekannt. Er ist ohne lange Umwege zur Avantgarde vorgestoÃen und hat sehr schnell Erfolg gehabt. Als wir zusammen in Rom waren, schien er mir ein gemachter Mann. Er war zehn Jahre älter. Er spielte schon in der Truppe der Berühmten mit (und ich damals nicht viel mehr als ein unbeschriebenes Blatt). Er war unangetastet von Hochmut, Erfolgsallüren. Sehr verhalten und nach innen gekehrt, und es gab ein paar Züge Skepsis in dem ansonsten von einem reinen Toren nicht sehr weit entfernten Gesichtsausdruck. Neigung zum Intellektualisieren, was in meinen Augen seinem ästhetischen Fluidum zuwiderlief, und etwas aufgesetzt wirkte. Er war ja auch sehr bald Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie geworden. Akademiekollege war Beuys, ebenfalls Kriegsflieger a.âD. Bei jenem hat der Krieg zentrale Spuren hinterlassen. Hoehme war Flieger und als Mensch eine Vogelart, ein ganz ganz leicht komischer trauriger Vogel. Bei aller Einfachheit selbstgewiÃ. Wir waren viel zusammen in Rom, viel Gespräch, viele Diskussionen. Am schönsten die gemeinsame Fahrt in dem damals noch verhältnismäÃig bescheidenen Sportwagen durch die Berge nach München, die in meinen Text »Canto auf die Reise als Rezept« eingegangen ist. Wir starteten den Tag nach meiner ersten Begegnung mit Maria. Wäre ich nicht abgefahren anderentags, hätte die Maria-Geschichte möglicherweise einen anderen Verlauf genommen. So habe
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