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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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sein zu wollen, wenn möglich der größte von allen. Sein Einsatz im Leben und Werk, dieses unbedingte Alles-oder-Nichts – während hierzulande etwa die Schriftsteller ganz gerne von sich sagen würden, sie seien halt Leute dieses oder jenes mittleren Talents, durchaus bewußt, durchaus …, aber sie täten ihr Bestes, indem sie diese oder jene Lücke auszufüllen trachteten. Sie wollen sich nur irgendwie im Betrieb integrieren, innerhalb ihrer Grenzen florieren. Sie halten Bescheidung für anständig, ins Große zielenden Ehrgeiz für unanständig. Ich möchte auch ein großer, möglichst sehr großer Schriftsteller sein oder werden, und ich muß mein Leben viel brutaler auf dieses Ziel hin ausrichten. Das Leben viel rücksichtsloser meinem Schreiben beugen.
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    Hans Manz meint, die Aggressionen, die Gewalttätigkeitsausbrüche, die unter Alkohol erfolgen, könnten daher rühren, daß ich auf jeder Ebene und auf allen möglichen Gebieten immer widersprüchliche Tendenzen verfolge. Etwa, was die Kinder und die Familie betrifft, sowohl das Verlassen und Mich-Losstrampeln wie das An-mich-Binden, väterliche Versorgen, Vorsorgen … Daß ich im Künstlerischen sowohl das eine wie das andere anstrebe. Ist mein ausbruchswildes Gebaren, meine gestaute und sich Bahn brechende Aggression auch Ausdruck einer nach vorn verbarrikadierten Dimension? Ausdruck einer Weglosigkeit, Visionslosigkeit?
    Manz bemerkte, ich müsse wohl sehr viel verdrängen, daß es zu all diesen Ausbrüchen komme. Stimmt. Muß sehr viel Primitives verdrängen. Ich bin wohl wirklich mit einem Fuß in der »anständigen« Welt der Bürger und mit dem anderen in jener wilden Welt der Kuhns, Clochards und Outlaws. Das könnte der Grund für die Stauungen sein.
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    Dachte mir: Warum hab ich eigentlich nie hier gelebt? Liebe ja dieses Paris seit je, liebe es – aus der Ferne, nein: aus kleinen Berührungen, mein ganzes Leben lang, und bin doch nie richtig dagewesen, immer bloß besuchsweise. Spüre aber eine tiefe Vertrautheit. Kann in meinen Erinnerungen zudem über beträchtliche Lebensstrecken verfügen.
    Was ist Paris?
    Boulevards … Die Breite der überaus lebendig, körperlich hügelauf und -ab kletternden Straßenbetten, mit dem oben kanalisierten Himmel. Die Fassaden beiderseits sind teils durch die fetten grünen Schwänze der Bäume verdeckt. Paris, das sind auch: die Bürgersteige. Gott, wenn man auf den Bürgersteigen geht, hat man den Eindruck auf der Reling eines Schiffes, jedenfalls auf einem altmodischen Reservat
der Straße entlangzuschreiten. Und der Bürgersteig ist eins mit dem knallig-satten Bereich der Läden, Verschläge und des Menschengewimmels. Die Zonen der Straße zwischen Himmel, Haus und Boden. Das Flackrig-Schuppige der Häuser. Das Saftige der Trottoirfarben. Aber es mischt sich auf Schritt und Tritt der Traum der Erinnerung ins (Ansichts-)Bild. Paris des Jünglings, des Studenten, des jungen Mannes, der Bruno Diemer besuchte … Dieses Paris ist noch enthalten – in seinem Auge, seinen Sinnen, seinem Gefühl. Das jetzige verhält sich zur Erinnerung ein wenig wie eine verblichene Photographie zur brausenden Lebensgegenwart. Frage: Ist die Ernüchterung, ist das Erbleichen in Wirklichkeit geschehen (ist alles ärmer geworden, ins Ärmliche verändert) – oder ist er selber ernüchtert?
    Die Metro, wenn sie in der Gegend von Stalingrad, Barbès zur Hochbahn wird. Wenn sie auf ihrer kräftigen Eisenkonstruktion auf halber Höhe der Häuser wie eine Lunapark-Berg-und-Tal-Bahn durch die Luft rattert und dem Passagier herrliche Blicke in die Straßenräume schenkt. Und die Metrostationen: eigentlich wie eine schön gekachelte Untergrundtrambahn. Nicht wie in London, wo sie orkusartig wirkt. Die Pariser Metro ist behaglicher. Alles badehausartig weit und gekachelt. Wohnlich. Ja, das ist's.
    Und jetzt sind wir am Boulevard Barbès. Das Gefühl des gepflasterten Grundes der Straße, dieser alten Pflasterung voller Geschichtsspuren und Lebensabdrücke. Und das Grün der Bäume wie eine dicke Portiere aus Grün. Aber im Schatten der Häuser, im Fußgängerbereich (im Unterschied zum Straßenbett, spürbar betthaften Straßengrund) ist immer noch Bazar. Ist es Täuschung oder bin ich

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